Corona - Verbitterung

Corona-Pandemie: Psychosoziale Aspekte und Verbitterungserleben im zweiten Lockdown

Studie und Fragestellung

Wir haben eine Online-Befragung mit Personen aus der Allgemeinbevölkerung im November und Dezember 2020 durchgeführt, also in der Phase, in der ein zweiter Lockdown mit geschlossenen Geschäften, Restaurants, Kultur- und Aktivitätsstätten stattfand.

Im Zuge der Corona-Pandemie und der Einschränkungen im täglichen Leben durch das Infektionsrisiko-Management („Lockdown“) gab es eine Reihe von vielen kleineren oder größeren Umbrüchen, und für viele Menschen auch kritischen Ereignissen. Als Reaktion auf empfundene Ungerechtigkeit oder kritische Lebensereignisse kann sich auch ein Verbitterungsgefühl einstellen. Neben den häufig diskutierten erhöhten Raten allgemeiner psychischer Belastungen während der Pandemie, sollten daher auch etwaige Entwicklungen von Verbitterungserleben berücksichtigt werden. Wir haben die Menschen unter anderem danach gefragt, welche Belastungen sie erlebten, und ob sie sich verbittert fühlten.

Methode und Teilnehmer

3.208 Personen nahmen an der Befragung teil. Sie wurden zunächst gebeten, zu berichten, ob und welche Belastungen sie bisher während der Pandemie erlebt haben. Es wurde eine Auswahl von 13 Corona bezogenen Ereignissen vorgegeben, wie z.B. eine Corona-Infektion gehabt zu haben, den Arbeitsplatz verloren zu haben, eine nahestehende Person verloren zu haben, unter sozialer Distanz zu leiden oder Ausfälle bei medizinischen Behandlungen erlebt zu haben. Dann gaben die Teilnehmer Selbsteinschätzungen zu ihrem gegenwärtigen Wohlbefinden und auch zum Verbitterungserleben ab.

Die Teilnehmer waren im Durchschnitt 47,5 Jahre alt, 55% waren weiblich. Die Hälfte der Teilnehmer hatte einen Universitätsabschluss (54,3 %), 39,9 % hatten eine Lehre abgeschlossen und 5,8 % besaßen keinen Berufsabschluss. Die meisten (69,3%) waren verheiratet oder in einer Beziehung. 29,9 % gaben an, dass sie früher in ihrem Leben einmal wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung waren. Dies scheint der allgemeinen Verteilung psychischer Probleme zu entsprechen, die nach europäischen Studien konstant bei etwa 30% liegt. 2% der Teilnehmer haben eine Coronavirus-Infektion gehabt. 80% der Teilnehmer gaben an, dass sie während der Pandemie deutliche Belastungen hatten.

Ergebnisse und Diskussion

Hohe Verbitterung trat bei 16% der Stichprobe auf. Es gab mehr Personen mit Verbitterung (9,5% der Gesamtstichprobe) als solche mit Verbitterung und einer psychischen Erkrankung (6,17%). 60,87% hatten keine psychische Erkrankung und keine Verbitterung, und 23,4% hatten eine psychische Erkrankung, aber keine Verbitterung. Verbitterung hing nur schwach mit allgemeinem psychischen Wohlbefinden zusammen (Korrelation r=-.258**). Menschen mit Verbitterung berichteten über eine höhere Anzahl sozialer und wirtschaftlicher Belastungen (z.B. Arbeitsplatzverlust) während der Coronapandemie als Personen ohne Verbitterung.

Das Auftreten von Verbitterung von 16 % während der Pandemie ist eine recht hohe Rate im Vergleich zu 3 % in Zeiten vor der Pandemie (2019) in derselben Region. Bei der Durchsicht der Literatur finden wir, dass erhöhte Raten von Verbitterung von 15-45% bei gesamtgesellschaftlichen kritischen Lebensumständen auftreten können. Unsere Forschung berichtet erste empirische Daten über das Auftreten von Verbitterungserleben im Zusammenhang mit Ereignissen während der Coronavirus-Pandemie. 

Ein möglicher Grund für diese erhöhte Verbitterungsrate ist, dass kritische Ereignisse und Ungerechtigkeiten während der Pandemie häufiger als sonst vorgekommen sein könnten. Es kann auch sein, dass Menschen die andauernden und sich schnell verändernden Bedingungen während des gesamten Jahres der Pandemie mit zunehmendem Ärger wahrnehmen. Verbitterung tritt in der Regel ereignisbezogen auf. Sie kann bei gesunden Menschen durch ungerechte Ereignisse ausgelöst werden und ist von allgemeinen psychischen Erkrankungen abgrenzbar. Letztere, z.B. wiederkehrende jahreszeitliche Depressionen, bestehen unabhängig von Lebensereignissen.
Diese Ergebnisse unserer Studie werden auch in Fachzeitschriften veröffentlicht[1]. Damit werden die Befunde in der weiterführenden Forschung und in Praxisfeldern Beachtung finden. Die längerfristigen wirtschaftlichen und sozialen „Nebenwirkungen“ von Coronaschutz-Maßnahmen sollten im Blick behalten und bei politischen Entscheidungen über Maßnahmen mitberücksichtigt werden.
 

Projektleitung: Prof. Dr. Beate Muschalla

Projektmitarbeiterinnen: cand.-psych. Anke Sondhof, B.Sc. Clio Vollborn

 

[1] Muschalla, B., Vollborn, C., & Sondhof, A. (2021). Embitterment in the general population after nine months of COVID-19 pandemic. Psychotherapy and Psychosomatics, accepted for publication.