Bergkristall (Oktober)

[Abb. 1] Inv. Nr. 141 A Crystalli

Objekt des Monats

An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!

Bergkristall: Kostbares Mineral in Kunstkammer und Apotheke

[Abb. 2] Inv. Nr. 141 A Einzelne unbearbeitete Bergkristalle

Objekte aus Bergkristall sind in jeder Kunst- und Wunderkammer - den Vorläufern der heutigen Museen - zu finden. Im Mittelalter galt Bergkristall als die Manifestation des Überirdischen, dessen Reinheit das göttliche Licht symbolisierte. Das harte aber fragile Mineral wurde für kostbare Gefäße, Amulette, Prachtpokale, Kreuze, Kugeln, optische Geräte und vieles mehr verwendet. Da es sich nicht schnitzen oder mit Hammer und Meißel bearbeiten, sondern nur schleifen lässt, war ein großes handwerkliches Geschick erforderlich, wodurch sich die Einzigartigkeit und Kostbarkeit der Objekte noch erhöhte.

Aber nicht nur als Luxusgut spielte Bergkristall eine Rolle, sondern auch bis ins 18. Jahrhundert als arzneiliche Substanz. Arznei- und Kräuterbücher sowie Taxen führten ihn unter Bezeichnungen wie Crystalli, Crystallus oder Lapis Crystalli. Daher ist es auch kein Wunder, dass der kostbare Kristall – dieses Exemplar stammt ursprünglich aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg – in der Arzneimittelhistorischen Sammlung Braunschweig zu finden ist. Bergkristall ist ein Mineral mit der chemischen Zusammensetzung SiO2 (Siliziumdioxid) und ist heute besser unter dem Namen „Quarz“ bekannt. Teilweise kann man bei Quarzen Einschlüsse (Inklusionen) von Flüssigkeiten, Gasen oder anderen Mineralien beobachten, welche ihnen ein verändertes Aussehen verleihen.

[Abb. 3] Crystallus montana in der Pharmacopoeia Wirtenbergica 1741

Der Name des Crystallus lässt sich auf das griechische Wort für Kälte und Wasser zurückführen. Daraus leitete sich die Auffassung ab, der Kristall sei gehärtetes, nicht schmelzendes Eis. Wie kamen die besonderen optischen und physikalischen Eigenschaften des Crystallus zustande? Der Mediziner Johann Schröder beschrieb 1693 den Bergkristall als “einen Crystall / in dessen Mitte eine fliessende Feuchtigkeit schwebete”. Auch der französische Chemiker und Mediziner Nicolas Lémery nahm 1721 an, dass der Crystallus aus Flüssigkeit entstanden sei. Er bilde sich lediglich in “holen Orten […], wo es viel Wasser giebt”.
Johann Schröder kennt Verwendungen sowohl für den reinen, durchsichtigen Kristall, als auch für sein Salz, für den zum Magisterium oder zur Tinktur verarbeiteten Kristall und für weitere abgeleitete Arzneiformen. Die Präparate wurden sowohl gegen Durchfall bei Kindern und Erwachsenen als auch bei galliger und blutiger Diarrhoe verwendet. Weitere Indikationen waren Sodbrennen und Magenschmerzen, Mutterfluss, unzureichende Milchproduktion von Stillenden, Quecksilbervergiftungen, Schwindel, Blasen- und Nierensteine, Verstopfungen und Fieber. Auch Michael Bernhard Valentini, Arzt und Naturforscher, erwähnt in seinem 1704 geschriebenen Werk dieses breite Spektrum an Verwendungen. Doch 1721 sah Lémery im Crystallus nur noch Nutzen bei Durchfall, Blasen- und Nierensteinen sowie verringerter Milchproduktion. Interessant ist, dass der Bergkristall einerseits als ausleitendes Mittel bei Vergiftungen, Steinleiden und Obstipation sowie auch entgegengesetzt als ein Mittel bei Diarrhoen genutzt wurde. Das Württembergische Arzneibuch (Pharmacopoeia Wirtenbergica) von 1741 führt ihn noch als Specificum bei galligen Diarrhoen bei Kindern. Danach verschwand der Bergkristall aus den Arzneibüchern, nur um im letzten Jahrhundert in der Quarzuhr wieder aufzutauchen.

Von Nouralhuda Khalil und Sahar Ander (Wahlpflichtfach Pharmaziegeschichte, Sommersemester 2023)