Cannabisfrüchte (Februar)

Objekt des Monats

An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!

Cannabis aus der Apotheke

Cannabis-Früchte (Cannabis fructus)
Unser Objekt im Februar stammt aus der Alten Apotheke Wolfenbüttel. Deren erste Spuren gehen bis ins Jahr 1576 zurück, damals noch Hofapotheke. Wahrscheinlich ab 1821 befand sich die inzwischen privatisierte Apotheke am Stadtmarkt, von 1843 bis 1960 wurde sie von Mitgliedern der Familie Gerhard geführt. Zuletzt hieß sie “Alte Apotheke”, bis sie 2009 ihren Betrieb einstellte. Eine anstehende Sanierung mit Umbau förderte eine große Menge historischer Objekte aus der Zeit der “Gerhardts” und ihrer Nachfolger zutage, von denen wir einige für die Pharmaziehistorische Sammlung Braunschweig erhalten konnten.

[Abb. 1] Arzneischachtel aus der Alten Apotheke Wolfenbüttel.

Diese kleine Schachtel aus Karton ist etwa doppelt so groß wie eine Streichholzschachtel. Der Deckelrand und die Seiten sind mit mauvefarbigem Buntpapier beklebt, auf dem Deckel findet sich ein von Ornamenten umrahmtes Etikett, auf das der Name der Apotheke und des Apothekers aufgedruckt ist. Zum Zeitpunkt des Etikettendrucks wurde sie von Apotheker Dr. Ferdinand Gerhard (1838-1899) geführt, der 1876 die Konzession übernahm. Abgegeben wurden hier Früchte von “Cannabis sativa”. Cannabis-Früchte werden missverständlich oft Cannabis-Samen genannt. Mit der Mengenangabe auf dem Etikett “22 A” sind Achänen gemeint, d.h. die Früchte, die noch vom Fruchtmantel begleitet sind.

[Abb.2.] Cannabis Schließfrucht (Achäne) nach Köhler

Also “Rausch auf Rezept” mitten im beschaulichen Wolfenbüttel der Gründerzeit? Tatsächlich wurden berauschende Präparate von verschiedenen Hanf-Arten Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa verstärkt diskutiert.  Haschisch galt Einigen in Europa als vielversprechendes neues Arzneimittel, in der europäischen Bohème, besonders bei Künstler*innen, war das Mittel als berauschende Droge geschätzt.

Die Früchte in dieser Schachtel hatten jedoch keine derartige Wirkung. Hanf wurde seit dem Mittelalter auch in dieser Gegend kultiviert, wobei nicht nur die Fasern sondern auch die Früchte genutzt wurden. Arzneibücher seit dem Mittelalter empfehlen die Früchte mit den Eigenschaften “warm und trocken” bei Erkrankungen mit „kalten“ Eigenschaften, so z.B. Katarrhen. In pharmakognostischen Lehrbüchern und Rezeptbüchern des 19. Jahrhunderts werden Aufgüsse oder Dekokte (=Auskochungen) in Wasser oder Milch, zum Trinken oder als äußerlich anzuwendende warme Umschläge bei entzündlich-katarrhalischen Erkrankungen empfohlen. Gonorrhoe wird häufig speziell genannt. Der Patient, der im späten 19. Jahrhundert wahrscheinlich mehrmals in die Apotheke von Ferdinand Gerhard kam, um das Rezept zu wiederholen, hatte also möglicherweise dieses Leiden. Ob es gebessert wurde und er die Schachtel deshalb zurückbrachte, anstatt sie nochmals auffüllen zu lassen, muss offen bleiben.

Von Bettina Wahrig