LWI | Meeresbedingungen in Braunschweig

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Leichtweiß-Institut für Wasserbau erhält Salzwasser-Wellen-Strömungskanal

Ein riesiges Loch klafft momentan in der Versuchshalle des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau (LWI). Dort, wo bis vor kurzem ein Modell des Wendebachstausees mit Wehranlage stand, entsteht jetzt eine salzwassertaugliche Großforschungsanlage, die in dieser Art einzigartig in Europa ist. Kombiniert werden in dem neuen Kanal Salzwasser, Wellen und Strömung. Hier können die Wissenschaftler*innen demnächst erstmals im LWI lebenden marinen Bewuchs untersuchen.

Die Anlage ist Teil des vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) geförderten Projekts „EnviSim4Mare“, das erforscht, wie der Bewuchs aus Muscheln, Algen und weiteren Meeresbewohnern die Tragfähigkeit von Offshore-Windenergieanlagen und anderen maritimen Bauwerken beeinflusst. Mit dem neuen Kanal kann das Projekt-Team Einblicke in die Prozesse erhalten, die sich rund um den marinen Bewuchs abspielen. Ziel ist es, den hohen Unterhaltungsaufwand zu reduzieren und die Laufzeit maritimer Anlagen zu verlängern.

Experimente trotz Baustelle

Noch ist vom Kanal selbst wenig zu sehen. Nachdem der Untergrund vorbereitet wurde, konnte Anfang des Jahres die Betonsohle gegossen werden. Die Forschung in der Versuchshalle soll trotz der Bauarbeiten möglichst ungehindert weiterlaufen: Das Digital Building Fabrication Laboratory ist in Betrieb und auch die Experimente in den Versuchsrinnen finden weiterhin statt. Zudem erhält der 90 Meter lange Wellenkanal neben dem Baustellenloch gerade zwei neue Wellenmaschinen.

Rund ein Viertel der Halle nimmt das neue Bauwerk ein: 30 Meter lang, drei Meter breit und 2,50 Meter tief wird der salzwassertaugliche Wellen- und Strömungskanal. Das Blatt der Wellenmaschine ist 2,50 mal drei Meter groß. Wellenhöhen bis zu 80 Zentimetern können die Forschenden damit generieren. Der Strömungserzeugung dienen vier Pumpen mit einem maximalen Volumenstrom von rund 12.000 m³/h. Neben zwei Wellenmaschinen und einer Strömungserzeugung ist die Anlage auch mit einer Wasseraufbereitung ausgestattet. Um den Frischwasserverbrauch zu reduzieren und die erforderlichen aquatischen Bedingungen zu regeln, wird das Wasser aufbereitet und im geschlossenen Kreislauf weiterverwendet.

Aus Frischwasser wird Meerwasser

Für die Nutzung des Kanals mit Salzwasser kommt wasserundurchlässiger Stahlbeton zum Einsatz. „Damit die Bewehrung darunter nicht korrodiert und kein Salzwasser ins Grundwasser gelangt“, so Dr.-Ing. David Schürenkamp, Oberingenieur der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau im LWI.

Da die Versuchshalle im Wasserschutzgebiet liegt, muss der Salzgehalt im Kanal unter drei Prozent liegen. Dafür leitet das LWI-Team hochkonzentrierte Sole in die Wasseraufbereitungsanlage ein, die aus dem normalen Frischwasser Meerwasser erzeugt. „So können wir beste Meeresbedingungen für marine Organismen schaffen“, erklärt David Schürenkamp.

Von der Nordsee nach Braunschweig

Miesmuscheln, Seepocken und Algen, die zuvor Versuchskörper in der Nordsee bewachsen haben, sollen sich demnächst im Kanal wohl fühlen. Dafür werden kontinuierlich pH-Wert, Salzgehalt, Temperatur sowie Sauerstoff gemessen und geregelt.

An geeigneten Offshore-Standorten um Helgoland und Nordergründe hatten Wissenschaftler*innen des Projektpartners Alfred-Wegener-lnstitut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) Testkörper ausgebracht und beobachtet, wie Muscheln dort andockten. Dabei handelt es sich um größere Edelstahlrohre und -platten, die die Oberflächen von Windparkelementen widerspiegeln. „Man sieht, wie die Pfähle korrodieren und der Edelstahl förmlich aufgefressen wird“, berichtet David Schürenkamp. Nach ausreichender Ansiedlung von marinem Bewuchs werden die Versuchskörper ins Braunschweiger Testbett gesetzt und im Salzwasser-Wellen-Strömungskanal weiter untersucht.

Bis zum Herbst soll das Bauwerk inklusive technischer Ausrüstung (Mess- und Regeltechnik, Wärme- und Lüftungstechnik, Wasseraufbereitung) stehen. Dann werden Pumpen und Wellenmaschinen geprüft, der Kanal nur mit Strömung und nur mit Wellen getestet sowie der Salzgehalt richtig eingestellt. Anschließend werden die ersten Versuche durchgeführt. In dem Zuge setzen die Wissenschaftler*innen mit einem Kran auch das Shake-The-Box 4D-PTV System auf den Kanal, mit dem sie die Umströmung von Strukturen messen können.

Kontakt

David Schürenkamp
Technische Universität Braunschweig
Leichtweiß-Institut für Wasserbau
Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
Beethovenstraße 51a
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-3937
E-Mail: d.schuerenkamp(at)tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku

Projektteam

Zum Projekt der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau im LWI gehören Clemens Krautwald, Dr.-Ing. Constantin Schweiger, Dr.-Ing. David Schürenkamp und Prof. Dr.-Ing. habil. Nils Goseberg.

Weitere Informationen:
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku/forschung/projekte/envisim4mare

EnviSim4Mare

Im Forschungsvorhaben „EnviSim4Mare“ untersuchen die Wissenschaftler*innen, wie der Bewuchs aus Muscheln, Algen und anderen Meeresbewohnern die Tragfähigkeit von Offshore-Windenergieanlagen und anderen maritimen Bauwerken beeinflusst. „Die Grenzfläche zwischen einem Bauwerk und der marinen Umwelt ist ein faszinierendes Interface, das zum Beispiel Kräfte überträgt oder bio-chemische Austauschstoffe transportiert; viele der relevanten Prozesse sind hier noch nicht ausreichend verstanden,“ sagt Prof. Nils Goseberg. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seit Dezember 2019 gefördert. Die Förderdauer wurde bis Ende Mai 2024 verlängert.

Neben dem Leichtweiß-Institut für Wasserbau gehören zum Forschungsverbund das Alfred-Wegener-lnstitut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und das Unternehmen Jörss-Blunck-Ordemann GmbH sowie weitere assoziierte Industriepartner und Behörden. Das Leichtweiß-Institut der TU Braunschweig, Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau, erhält von der Gesamtfördersumme im Teilvorhaben 7,86 Millionen Euro. Die Planungs- und Baukosten der Forschungsanlage liegen bei rund 6 Millionen Euro.

Beitrag von Bianca Loschinsky aus dem MAGAZIN der TU Braunschweig