Architektur kann Infektionen im Krankenhaus verhindern. Wie das geht, zeigt das begehbare Modell eines neuartigen Patientenzimmers. Entwickelt von einem Team aus den Bereichen Architektur, Medizin und Molekularbiologie im Forschungsprojekt KARMIN. Nachdem der Prototyp im vergangenen Jahr auf dem Gelände der Charité in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, soll das Patientenzimmer jetzt unter der Federführung des Instituts für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig, des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik IST und des Städtischen Klinikums Braunschweig zu einem anwendungsorientierten Forschungs- und Studienlabor werden. Errichtet wird der Demonstrator auf einer Freifläche des Klinikums am Standort Naumburgstraße.
Das infektionspräventive Zweibettzimmer des KARMIN-Forschungsprojekts setzt auf eine kluge Raumplanung, um die Übertragung gefährlicher Erreger in Krankenhäusern zu minimieren. So haben die Forschenden zwei getrennte Bäder geplant. Die Betten sind gegenüber statt nebeneinander aufgestellt. Die Anzahl der Desinfektionsspender wurde erhöht und die Wegeführung für das Klinikpersonal optimiert. Ziel ist es, die schon hohen Hygienestandards im Krankenzimmer noch zu steigern – ein äußerst wichtiger Aspekt bei der Behandlung von COVID-19-Patienten, aber auch im Zusammenhang mit multiresistenten Erregern.
Bessere Hygiene durch leicht zu reinigende Materialien
Gemeinsam wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von TU Braunschweig und Fraunhofer mit den Expertinnen und Experten des Klinikums jetzt weitere praxistaugliche Musterlösungen für die Krankenhaus-Architektur entwickeln. Dazu gehören Materialien, Oberflächen und Ausstattungselemente, die leicht zu reinigen sind und so helfen, gefährliche Keime einzudämmen. In diesem Zusammenhang sollen auch Sensoren und neue innovative Reinigungssysteme, die eine Keimbelastung schnell identifizieren und automatisiert beseitigen, getestet werden.
Im Forschungs- und Studienlabor wollen die Forschenden prüfen, inwieweit neue Produkte und funktionelle Materialien für einen Einsatz in einem Krankenzimmer geeignet sind und diese für unterschiedliche Nutzergruppen – zum Beispiel aus Behandlung, Pflege, Reinigung sowie Ver- und Entsorgung – erfahrbar machen. Welche Desinfektionsspender sich eignen und wo diese am besten im Zimmer platziert werden sollten, sind beispielhaft Fragen, die es zu beantworten gilt. Ein weiterer zentraler Aspekt betrifft die Beleuchtung im Zimmer: Wo muss das Licht installiert, wie kann es gesteuert und bedient werden? Auch dazu wird es Lösungsangebote geben. Begleitet werden die Untersuchungen im Demonstrator durch den Aufbau eines Cybersystems, das neben dem Monitoring von Energie- und Stoffströmen für Wirtschaftlichkeitsanalysen auch mit Elementen ausgestattet werden kann, die die Vitalparameter des Patienten überwachen, um eine optimierte Patientenversorgung zu gewährleisten.
Die Kooperation ist auf mindestens fünf Jahre angelegt und wird dem stetigen Wandel im Pflegebereich Rechnung tragen. Neue Entwicklungen der Medizin, Veränderungen der gesellschaftlichen Anforderungen sowie Fortschritte im Architektur- und Bauwesen und den Materialwissenschaften werden in die Arbeit einfließen.
Einbindung von Industriepartnern
Das Modell-Patientenzimmer wollen die Kooperationspartner im September 2021 auf dem Gelände des Städtischen Klinikums Braunschweig an der Naumburgstraße errichten. So soll vor allem medizinischem Personal der Zugang für praxisnahe Untersuchungen ermöglicht werden.
Wie bereits in der Entwurfsphase des KARMIN-Demonstrators will das Forschungsteam Industriepartner einbinden. „Der Bereich Pflege und insbesondere das Patientenzimmer im Krankenhaus wird auch in Zukunft auf weitere Veränderungen reagieren müssen, wie neue Krankheiten oder auch sinkende Bettenzahlen in den Kliniken“, sagt Dr. Wolfgang Sunder vom Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig. „Das erarbeitete Wissen der Kooperation soll möglichst direkt in Planungs- und Bauprozesse von Gesundheitsbauten einfließen, in die Berufspraxis von Kliniken transferiert sowie in die Entwicklung von entsprechenden Produkten übertragen werden.“
„Funktionalisierte Oberflächen und automatisierte Reinigungssysteme haben das Potenzial, im Krankenhaus der Zukunft zum Game Changer zu werden. Das Patientenzimmer bietet eine ideale Entwicklungs- und Testumgebung für die Entwicklung neuer Produktsysteme und funktioneller Materialien“, ergänzt Prof. Dr. Christoph Herrmann, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik IST. „Dabei steht für uns neben den Aspekten des Gesundheitsschutzes auch die nachhaltige Produktion und Umsetzung unserer Ideen mit Industriepartnern im Fokus der Arbeiten.“
„Weitere Aspekte, die mit dem Patientenzimmer der Zukunft verfolgt werden, sind die Behandlungsqualität während des Krankenhausaufenthalts als auch die Arbeit des medizinischen wie pflegerischen Personals zu optimieren“, so Dr. Thomas Bartkiewicz, Ärztlicher Direktor des Klinikums. So besteht im Patientenzimmer die Möglichkeit, mittels Augmented Reality verschiedene Fallkonstellationen zu üben. „Ein großer Gewinn in der Aus- und Weiterbildung angehender Medizinerinnen und Mediziner sowie Pflegefachkräfte“, freut sich Bartkiewicz.
Kooperationspartner
Das Forschungsteam vereint die Disziplinen Gebäudegestaltung und Material-, Schicht- und Oberflächentechnik, vertreten durch das Institut für Industriebau und Konstruktives Entwerfen (IKE) der TU Braunschweig und das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST. Beide Institute haben langjährige Forschungserfahrung im Gesundheitsbereich.
Zudem kooperieren beide Einrichtungen in der Lehre und Forschung seit mehr als zehn Jahren mit dem Städtischen Klinikum Braunschweig. Das Klinikum versorgt als Krankenhaus der Maximalversorgung auf universitärem Niveau die Region Braunschweig. Im Jahr 2013 wurde die gemeinsame Entwicklung plasmabeschichteter Beutel zur Stammzellkultivierung des Fraunhofer IST 2013 mit dem Städtischen Klinikum mit dem Fraunhofer-Preis „Technik für den Menschen“ ausgezeichnet.
Forschungsprojekt KARMIN
KARMIN steht für „Krankenhaus, Architektur, Mikrobiom und Infektion“. Das Projekt wurde von Oktober 2016 bis Ende 2020 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme „Zwanzig20“ und als Teil des Forschungsverbundes „InfectControl 2020“ gefördert. Verbundpartner waren neben der TU Braunschweig das Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Universitätsklinikum Jena mit der Septomics Research Group und die Röhl GmbH. Das Forschungsteam untersuchte, wie eine neue Raumplanung die Übertragung von Erregern verringern kann und erarbeitete einen Entwurf für ein optimales infektionssicheres Patientenzimmer inklusive Nasszelle. Der Prototyp des Patientenzimmers wurde auf dem Berliner „World Health Summit“ im Oktober 2020 einem internationalen Fachpublikum vorgestellt.
Weitere Informationen: https://karmin.info/
Gemeinsame Pressemitteilung von TU Braunschweig, Fraunhofer IST und Städtischem Klinikum Braunschweig im MAGAZIN der TU Braunschweig