Auf dieser Seite stellen unsere Teammitglieder regelmäßig wissenschaftliche Artikel aus dem Bereich der Resilienzforschung vor. Dabei wählen wir Artikel aus, die uns für die Resilienzforschung begeistert haben oder die unser Verständnis von Resilienz verändert und weiterentwickelt haben. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Arbeiten, die sich mit Resilienz bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Ab und an schauen wir aber auch gerne über den thematischen Tellerrand.
Wiedemann, A., Gupta, R., Okey, C., Galante, J., & Jones, P. B. (2024). A systematic review of pre-pandemic resilience factors and mental health outcomes in adolescents and young adults during the COVID-19 pandemic. Development and Psychopathology, 1-14.
https://doi.org/10.1017/S0954579424001901
Vorgestellt von: Sophie Streit
Worum geht es? Die COVID-19-Pandemie hat die psychische Gesundheit vieler junger Menschen stark belastet. Doch warum kommen manche Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene besser durch solche Krisen als andere? Anna Wiedemann und Kolleg:innen sind dieser Frage in einer systematischen Übersicht nachgegangen. Sie haben 32 Längsschnittstudien aus zwölf Ländern zusammengefasst, in denen sogenannte Resilienzfaktoren – d.h. schützende Ressourcen, die mit einer besseren psychischen Anpassung in Krisenzeiten verbunden sein könnten – bereits vor der Pandemie erfasst wurden. Im Fokus standen dabei sowohl individuelle (z.B. Selbstwertgefühl), familiäre (z.B. Eltern-Kind-Beziehung) als auch soziale Faktoren (z.B. Freundschaften).
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die Übersicht zeigt: Viele dieser Resilienzfaktoren waren mit einer insgesamt besseren psychischen Gesundheit verbunden – sowohl vor als auch während der Pandemie. Allerdings konnten nur wenige dieser Faktoren tatsächlich vor pandemiebedingten Belastungen schützen. Besonders deutlich zeigte sich: Jugendliche und junge Erwachsene, deren familiäre Beziehungen sich während der Pandemie verbesserten, berichteten seltener von depressiven Symptomen oder Stress. Individuelle Faktoren wie Selbstwertgefühl oder Emotionsregulation zeigten hingegen nur schwache oder zeitverzögerte Effekte.
Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Der Artikel macht deutlich, wie wichtig es ist, Resilienz als dynamischen Prozess zu betrachten – besonders in Krisenzeiten. Besonders relevant finde ich, dass der Artikel eine Forschungslücke benennt: Viele Studien betrachten Resilienzfaktoren isoliert, ohne Wechselwirkungen oder Veränderungen im Zeitverlauf mitzudenken. Die Übersicht von Wiedemann und Kolleg:innen schafft hier Klarheit und setzt wichtige Impulse – z.B. durch die Empfehlung, Resilienzfaktoren auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu untersuchen.
Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Für meine eigene Forschung ist der Artikel eine klare Bestärkung: Ich möchte untersuchen, wie sich psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Kontext verschiedener Stressoren über die Zeit entwickelt. Besonders im Fokus steht für mich die familiäre Ebene: Kinder und Jugendliche sind in ihrer Anpassung an Stressoren und Krisen stark von ihrer unmittelbaren sozialen Umwelt abhängig – insbesondere von ihren Bezugspersonen. Der Artikel bestärkt mich in meinem Vorhaben, familiäre Resilienzfaktoren (z.B. Eltern-Kind-Beziehung, familiäre Kohäsion oder elterliche psychische Gesundheit) differenziert zu untersuchen und deren Bedeutung für resiliente Entwicklungsverläufe besser zu verstehen.
Haag, A. C., Bagrodia, R., & Bonanno, G. A. (2024). Emotion regulation flexibility in adolescents: A systematic review from conceptualization to methodology. Clinical child and family psychology review, 27(3), 697–713. https://doi.org/10.1007/s10567-024-00483-6
Vorgestellt von: Sarah K. Schäfer
Worum geht es? Emotionen zu regulieren – also Gefühle bewusst zu beeinflussen, auszudrücken oder zu unterdrücken – ist entscheidend für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit. In der Forschung rückt zunehmend die Flexibilität der Emotionsregulation in den Fokus: Die Fähigkeit, je nach Situation unterschiedliche Strategien der Emotionsbewältigung einzusetzen, anstatt starr bei einer Methode zu bleiben. Während dieses Konzept bei Erwachsenen schon viel Aufmerksamkeit erhalten hat, gibt es bislang nur wenige Studien dazu im Jugendalter. Ann-Christian Haag und ihre Kolleg*innen fassen bisherige Erkenntnisse in diesem Bereich zusammen und identifizierten 11 Studien, die die Flexibilität des Emotionsausdrucks bei Kindern und Jugendlichen untersuchten. Sie konnten zeigen, dass die bisherige Forschung zwei Konzeptualisierungen von Flexibilität verfolgt: die Flexibilität des Emotionsausdrucks sowie die Flexibilität der eingesetzten Emotionsregulationsstrategien. Wird die Flexibilität des Emotionsausdrucks beforscht, geht es darum je nach Situation Emotionen angemessen zeigen oder verbergen zu können. Steht die Flexibilität bei der Auswahl der Strategien im Fokus, geht es um das Repertoire der vorhandenen Strategien sowie deren passgenaue Auswahl.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die eingeschlossenen Studien legen weitestgehend konsistent nah, dass mehr Flexibilität – sowohl im Ausdruck als auch bei der Wahl der Strategien – mit mehr psychischer Gesundheit assoziiert ist. So fanden sich bei flexibleren Jugendlichen weniger Symptome psychischer Störungen, seltener Verhaltensprobleme, ein besserer Umgang mit Stress, ein höheres Selbstwertgefühl und stabilere soziale Beziehungen.
Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Aus meiner Sicht sind Ansätze, die Flexibilität als Resilienzfaktor und -mechanismus untersuchen sehr vielversprechend, um resiliente Anpassungsprozesse besser erklären zu können. Die Kindheit und Jugend sind wahrscheinlich die Entwicklungsphasen, in denen diese Flexibilität gelernt wird oder wichtige Lernprozesse ausbleiben. Gleichzeitig wissen wir bisher sehr wenig über diese Entwicklungs- und Lernprozesse.
Ein zentrales Problem der Forschung zu Flexibilität ist nicht selten auch die fehlende konzeptuelle Trennschärfe. Oftmals ist von "Flexibilität" die Rede, aber unter derselben Überschrift verbergen sich ganz unterschiedliche Dinge. Aus meiner Sicht ist die Zusammenfassung von Ann-Christian Haag und ihren Kolleg*innen ein wichtiger Impuls, um mehr Klarheit zu schaffen und auf noch vorhandene Wissenslücken aufmerksam zu machen.
Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Die Arbeit hat für mich nochmal unterstrichen, wie wichtig es ist, dass wir auch in unseren eigenen Projekten zu Flexibilität (z. B. EmoFlex, ResReBoFam) Konzepte genau klären und für Leser*innen genau definieren. Flexibilität ist eben nicht gleich Flexibilität.
Außerdem hat der Artikel für mich sehr gut zusammengefasst, dass wir in diesem Bereich noch viel Arbeit vor uns haben, ehe es ausreichend evidenzbasierte theoretische Modelle zu Flexibilität bei Kindern und Jugendlichen geben wird. Diese müssen mehr einschließen als nur eine Facette des Konstrukts und sowohl die Wahrnehmung des Kontexts, die Verfügbarkeit eines reichen Repertoires an Strategien sowie das Lernen durch Feedback in den Blick nehmen. Ich freue mich darauf, durch aktuelle und zukünftige Projekte hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen.