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Foto: Junge Frau sitzt vor Bücherregal und liest

Auf dieser Seite stellen unsere Teammitglieder regelmäßig wissenschaftliche Artikel aus dem Bereich der Resilienzforschung vor. Dabei wählen wir Artikel aus, die uns für die Resilienzforschung begeistert haben oder die unser Verständnis von Resilienz verändert und weiterentwickelt haben. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Arbeiten, die sich mit Resilienz bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Ab und an schauen wir aber auch gerne über den thematischen Tellerrand.

September 2025

Eine psychosoziale Intervention für geflüchtete Kinder und Jugendliche – Erste Erkenntnisse zur Durchführbarkeit in ressourcenarmen Settings

Fine, S. L., Malik, A., Guimond, M.-F., Nemiro, A., Temu, G., Likindikoki, S., Annan, J. & Tol, W. A. (2021). Improving mental health in low-resource settings: A feasibility randomized controlled trial of a transdiagnostic psychological intervention among Burundian refugee adolescents and their caregivers. Behaviour Research and Therapy, 145, Article 103944. https://doi.org/10.1016/j.brat.2021.103944


Worum geht es? Kinder und Jugendliche aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) sind häufig aversiven Ereignissen wie Kriegen oder wirtschaftlichen Notlagen ausgesetzt. Damit weisen sie ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen auf. Trotz des hohen Bedarfs an psychosozialer Behandlung in LMICs fehlen dort geeignete Behandlungsangebote. Bestehende, wirksame Interventionsprogramme lassen sich in humanitären Kontexten nur schwer flächendeckend umsetzen, da sie unter anderem einen hohen Ressourcenbedarf haben und auf den Einsatz spezialisierter Fachkräfte angewiesen sind. Um die Versorgungslücke in LMICs für Kinder und Jugendliche zu schließen, hat die Weltgesundheitsorganisation die Intervention Early Adolescent Skills for Emotions (EASE) für Kinder und Jugendliche im Alter von 10-14 Jahren mit internalisierenden Symptomen (z.B. Angst und Depression) in ressourcenarmen Settings entwickelt. Dieses Programm ist so konzipiert, dass es weniger Ressourcen erfordert: Es besteht aus wenigen Sitzungen, wird in einer Gruppe durchgeführt und durch geschulte Laien angeleitet. EASE besteht aus sieben Sitzungen für Kinder und Jugendliche sowie drei Sitzungen für einen ihrer Erziehungsberechtigten. Fine und Kolleg:innen haben einen der ersten Versuche unternommen, die Durchführbarkeit und Akzeptanz von EASE bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die in einem Flüchtlingslager leben, in einer cluster-randomisierten kontrollierten Studie zu untersuchen. Außerdem wurden halbstrukturierte Interviews zu Akzeptanz und Durchführbarkeit von EASE mit zufällig ausgewählten Beteiligten (u.a. Kindern und Jugendlichen, Erziehungsberechtigten, Durchführenden) durchgeführt.  

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie? Da lediglich 82 Kinder und Jugendliche und 64 ihrer Erziehungsberechtigten an der Studie teilnahmen, war die Studie nicht darauf ausgelegt, belastbare Aussagen zur Wirksamkeit von EASE zu liefern. Mit Blick auf die Frage zur Durchführbarkeit und Akzeptanz von EASE in humanitären Kontexten zeigte sich, dass EASE in dieser Population durchführbar und sicher war und akzeptiert wurde. Zum Beispiel fanden die Kinder und Jugendlichen das Interventionsmaterial verständlich und der Großteil der Kinder und Jugendlichen als auch der Erziehungsberechtigten erlebte die Länge und Frequenz der Sitzungen als positiv. Herausforderungen in der Umsetzung von EASE in dem ressourcenarmen Setting waren unter anderem eine schlechte Koordination der EASE-Sitzungen mit dem Stundenplan der Kinder und Jugendlichen, die begrenzte Verfügbarkeit von geeigneten Laien zur Durchführung von EASE sowie staatliche Vorgaben zur Deckelung der Vergütung für die durchführenden Laien. Hinzu kamen Probleme bei der Anreise zum Interventionsort sowie Verständnisschwierigkeiten des Interventionsmaterials bei Personen mit Analphabetismus. 

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? EASE bietet als ressourcenarme Intervention eine Möglichkeit dafür, die Versorgungslücke in LMICs zu schließen und Kindern und Jugendlichen frühzeitig Unterstützung zu bieten, um resiliente Anpassungsprozesse während oder nach belastenden Lebensereignissen wahrscheinlicher zu machen. Die Studie von Fine und Kolleg:innen ist eine der ersten Studie aus einer Reihe von Studien, die die Durchführbarkeit und Akzeptanz von EASE in humanitären Kontexten untersuchen. Mit Blick auf die identifizierten Herausforderungen in der Umsetzung von EASE liefert die Studie wichtige Anhaltspunkte zur Weiterentwicklung und kontextbezogenen Anpassung der Intervention. Denn zur Schließung der psychosozialen Versorgungslücke in LMICs braucht es Interventionen, die nicht nur wirksam, sondern in den ressourcenarmen Settings auch durchführbar sind.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Die Studie hat mir gezeigt, wie wichtig wirksame und gleichzeitig ressourcenschonende Interventionen für Kinder und Jugendliche in LMICs sind. Insbesondere haben mir die Erkenntnisse zu den Herausforderungen in der Umsetzung von EASE gezeigt, wie wichtig es ist, eine Intervention nicht losgelöst von dem geplanten Anwendungskontext zu entwickeln. Stattdessen sollten die konkreten Bedingungen und Herausforderungen vor Ort berücksichtigen werden, um das volle Potenzial der Intervention ausschöpfen zu können. In unserer Arbeitsgruppe hat uns dieser Gedanke dazu inspiriert, neben der Wirksamkeit von EASE auch deren Durchführbarkeit systematisch über alle bisher veröffentlichten Studien zu EASE hinweg zu untersuchen.

August 2025

Kann Resilienz gelernt werden? – Eine Zusammenfassung vorhandenen Wissens

Pinto, T. M., Laurence, P. G., Macedo, C. R., & Macedo, E. C. (2021). Resilience programs for children and adolescents: A systematic review and meta-analysis. Frontiers in Psychology, 12, 754115. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.754115

Vorgestellt von: Sonja Breitenstein (Masterstudierende und Forschungspraktikantin im ResiMETA-Projekt)

Worum geht es? Die Resilienzforschung hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, was Menschen hilft, auch in schwierigen Lebensphasen psychisch gesund zu bleiben. Dabei wurde deutlich, dass Resilienz keine angeborene Eigenschaft ist sondern von vielen verschiedenen Faktoren abhängt und gezielt gelernt und gefördert werden kann.

Aus diesem Grund wurden spezielle Programme entwickelt, die Kindern und Jugendlichen helfen sollen, besser mit Stress, Problemen oder belastenden Situationen umzugehen. Tatiana Pinto und ihre Kolleg*innen haben sich 13 verschiedene Studien angeschaut, in denen genau solche „Resilienz-Programme“ wissenschaftlich untersucht wurden. Dabei ging es konkret um Programme, die auf Methoden aus der Psychologie und Psychotherapie basieren. In diesen Programmen lernen die Teilnehmenden, sich mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen, mit dem Ziel, besser mit Belastungen umgehen zu können. Die Forscher*innen wollten herausfinden, ob die Programme tatsächlich wirksam sind und ob sich die Resilienz der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen dadurch verbessert hat. Dafür haben sie die Ergebnisse der Studien zusammengetragen und ausgewertet.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die Autor*innen konnten feststellen, dass die Resilienz-Programme tatsächlich helfen: Kinder und Jugendliche, die an einem solchen Programm teilgenommen hatten, waren im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Programm resilienter. Und dieser Effekt hielt sogar an: Auch etwa sechs Monate nach dem Programm zeigte sich noch eine erhöhte Resilienz bei den Teilnehmenden.

Pinto und ihr Team untersuchten außerdem, ob es einen Unterschied zwischen den Altersgruppen gab. Bei jüngeren Kindern unter 12 Jahren konnten sie nicht klar zeigen, dass diese im Anschluss resilienter waren. Aber bei älteren Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 22 Jahren waren die Programme deutlich wirksam – sie konnten also besser mit schwierigen Situationen umgehen als vorher.

In den Studien wurde die Resilienz der Teilnehmenden mithilfe von Fragebögen erfasst, die das Konzept der psychologischen Resilienz messen sollen. Dabei wurde zum Beispiel abgefragt, wie gut die Kinder und Jugendlichen mit schwierigen Situationen oder Herausforderungen umgehen konnten. Allerdings wurden in den verschiedenen Studien unterschiedliche Fragebögen verwendet. Deshalb ist es nicht eindeutig, was genau damit gemeint ist, wenn gesagt wird, dass die Teilnehmenden durch die Programme resilienter wurden. Auch Pinto und ihr Team weisen darauf hin, dass das eine Schwäche ihrer Untersuchung darstellt.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Der Artikel macht deutlich, dass wir unser vorhandenes Wissen über Resilienz und Resilienzfaktoren gezielt nutzen können, um Kinder und Jugendliche darin zu stärken, besser mit belastenden Lebenssituationen umzugehen. Resilienz ist also nicht etwas, das man hat oder nicht, sondern etwas, dass man lernen kann. Aus meiner Sicht zeigt der Artikel, wie wichtig es ist, dass wir in Zukunft noch stärker darüber nachdenken, wie sich die Erkenntnisse aus der Resilienzforschung praktisch anwenden lassen. So können wir Kinder und Jugendliche gezielt dabei unterstützen in schwierigen Zeiten gesund zu bleiben.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Der Artikel zeigt mir, dass sich Erkenntnisse aus der Resilienzforschung in konkreten Programmen umsetzen lassen – und dass diese Programme tatsächlich Wirkung zeigen können. Das gibt mir Mut, denn es macht deutlich, dass meine Arbeit zum Thema Resilienz dazu beitragen kann, mehr Kinder und Jugendliche darin zu stärken, mit schwierigen Situationen besser umzugehen und psychisch gesund zu bleiben.

Gleichzeitig wird im Artikel auch klar: Wir wissen noch gar nicht so genau, wie wirksam diese Programme in allen Altersgruppen sind und wie sie genau gestaltet sein sollten. Das sind wichtige Fragen, die noch beantwortet werden müssen.

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