Leseecke

Foto: Junge Frau sitzt vor Bücherregal und liest

Auf dieser Seite stellen unsere Teammitglieder regelmäßig wissenschaftliche Artikel aus dem Bereich der Resilienzforschung vor. Dabei wählen wir Artikel aus, die uns für die Resilienzforschung begeistert haben oder die unser Verständnis von Resilienz verändert und weiterentwickelt haben. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Arbeiten, die sich mit Resilienz bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Ab und an schauen wir aber auch gerne über den thematischen Tellerrand.

August 2025

Kann Resilienz gelernt werden? – Eine Zusammenfassung vorhandenen Wissens

Pinto, T. M., Laurence, P. G., Macedo, C. R., & Macedo, E. C. (2021). Resilience programs for children and adolescents: A systematic review and meta-analysis. Frontiers in Psychology, 12, 754115. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.754115

Vorgestellt von: Sonja Breitenstein (Masterstudierende und Forschungspraktikantin im ResiMETA-Projekt)

Worum geht es? Die Resilienzforschung hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, was Menschen hilft, auch in schwierigen Lebensphasen psychisch gesund zu bleiben. Dabei wurde deutlich, dass Resilienz keine angeborene Eigenschaft ist sondern von vielen verschiedenen Faktoren abhängt und gezielt gelernt und gefördert werden kann.

Aus diesem Grund wurden spezielle Programme entwickelt, die Kindern und Jugendlichen helfen sollen, besser mit Stress, Problemen oder belastenden Situationen umzugehen. Tatiana Pinto und ihre Kolleg*innen haben sich 13 verschiedene Studien angeschaut, in denen genau solche „Resilienz-Programme“ wissenschaftlich untersucht wurden. Dabei ging es konkret um Programme, die auf Methoden aus der Psychologie und Psychotherapie basieren. In diesen Programmen lernen die Teilnehmenden, sich mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen, mit dem Ziel, besser mit Belastungen umgehen zu können. Die Forscher*innen wollten herausfinden, ob die Programme tatsächlich wirksam sind und ob sich die Resilienz der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen dadurch verbessert hat. Dafür haben sie die Ergebnisse der Studien zusammengetragen und ausgewertet.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die Autor*innen konnten feststellen, dass die Resilienz-Programme tatsächlich helfen: Kinder und Jugendliche, die an einem solchen Programm teilgenommen hatten, waren im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Programm resilienter. Und dieser Effekt hielt sogar an: Auch etwa sechs Monate nach dem Programm zeigte sich noch eine erhöhte Resilienz bei den Teilnehmenden.

Pinto und ihr Team untersuchten außerdem, ob es einen Unterschied zwischen den Altersgruppen gab. Bei jüngeren Kindern unter 12 Jahren konnten sie nicht klar zeigen, dass diese im Anschluss resilienter waren. Aber bei älteren Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 22 Jahren waren die Programme deutlich wirksam – sie konnten also besser mit schwierigen Situationen umgehen als vorher.

In den Studien wurde die Resilienz der Teilnehmenden mithilfe von Fragebögen erfasst, die das Konzept der psychologischen Resilienz messen sollen. Dabei wurde zum Beispiel abgefragt, wie gut die Kinder und Jugendlichen mit schwierigen Situationen oder Herausforderungen umgehen konnten. Allerdings wurden in den verschiedenen Studien unterschiedliche Fragebögen verwendet. Deshalb ist es nicht eindeutig, was genau damit gemeint ist, wenn gesagt wird, dass die Teilnehmenden durch die Programme resilienter wurden. Auch Pinto und ihr Team weisen darauf hin, dass das eine Schwäche ihrer Untersuchung darstellt.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Der Artikel macht deutlich, dass wir unser vorhandenes Wissen über Resilienz und Resilienzfaktoren gezielt nutzen können, um Kinder und Jugendliche darin zu stärken, besser mit belastenden Lebenssituationen umzugehen. Resilienz ist also nicht etwas, das man hat oder nicht, sondern etwas, dass man lernen kann. Aus meiner Sicht zeigt der Artikel, wie wichtig es ist, dass wir in Zukunft noch stärker darüber nachdenken, wie sich die Erkenntnisse aus der Resilienzforschung praktisch anwenden lassen. So können wir Kinder und Jugendliche gezielt dabei unterstützen in schwierigen Zeiten gesund zu bleiben.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Der Artikel zeigt mir, dass sich Erkenntnisse aus der Resilienzforschung in konkreten Programmen umsetzen lassen – und dass diese Programme tatsächlich Wirkung zeigen können. Das gibt mir Mut, denn es macht deutlich, dass meine Arbeit zum Thema Resilienz dazu beitragen kann, mehr Kinder und Jugendliche darin zu stärken, mit schwierigen Situationen besser umzugehen und psychisch gesund zu bleiben.

Gleichzeitig wird im Artikel auch klar: Wir wissen noch gar nicht so genau, wie wirksam diese Programme in allen Altersgruppen sind und wie sie genau gestaltet sein sollten. Das sind wichtige Fragen, die noch beantwortet werden müssen.

Juli 2025

Wie wird Resilienz bei Kindern gemessen? – Eine systematische Übersicht

Hall, J. R., Deery, B., Sciberras, E., Kern, M., & Quach, J. (2024). How are we measuring resilience in children? A systematic review. Mental Health & Prevention, 35, 200351. https://doi.org/10.1016/j.mhp.2024.2003511

Vorgestellt von: Jan Broll

Worum geht es? Resilienz, also die Fähigkeit, trotz widriger Lebensumstände psychisch gesund zu bleiben, ist für die kindliche Entwicklung von zentraler Bedeutung. Doch wie lässt sich diese Fähigkeit eigentlich messen? Julia Hall und Kolleg*innen haben in ihrer systematischen Übersichtsarbeit untersucht, mit welchen Fragebögen und Beobachtungsverfahren Resilienz bei Kindern im Alter von 0 bis 12 Jahren bislang erfasst wurde. Ihr Ziel: mehr Klarheit darüber schaffen, welche Verfahren tatsächlich Resilienz messen und wie verlässlich und aussagekräftig diese Verfahren sind.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die Autor:innen werteten 86 Studien aus und identifizierten 54 verschiedene Verfahren zur Erfassung von Resilienz bei Kindern bis 12 Jahren. Etwa die Hälfte zielte darauf ab, Resilienz direkt zu messen, die andere Hälfte nutzte sogenannte Proxy-Maße. Diese erfassen nicht direkt Resilienz, sondern über verwandte Konstrukte wie Problemlösefähigkeit oder soziale Unterstützung. Am häufigsten wurde der „Strengths and Difficulties Questionnaire“ verwendet, gefolgt von der „Child Behavior Checklist“. Damit messen die am häufigsten bei Kindern eingesetzten Verfahren Resilienz nur indirekt.

Nur etwa ein Drittel der untersuchten Resilienz-Messverfahren bei Kindern zeigte eine ausreichende Zuverlässigkeit (Reliabilität), viele lieferten sehr unterschiedliche oder gar keine Angaben zur Messgenauigkeit. Zudem lagen kaum Längsschnittstudien vor, anhand derer die Stabilität der Ergebnisse über einen längeren Zeitraum beurteilt werden könnte. Nur 11 der 54 Messverfahren machten Angaben zur Validität – also zur Frage, ob ein Test tatsächlich misst, was er zu messen vorgibt –, weshalb auf eine weiterführende Analyse verzichtet wurde.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Der Artikel leistet einen wichtigen Beitrag, weil er systematisch aufzeigt, wie uneinheitlich Resilienz im Kindesalter gemessen wird. Er macht deutlich, dass die wissenschaftliche Evidenz für viele Verfahren zweifelhaft ist. Besonders relevant ist die Unterscheidung zwischen direkten Messverfahren und solchen, die nur verwandte Merkmale erfassen. Die Studie macht deutlich, dass viele eingesetzte Instrumente wichtige soziale und kontextuelle Schutzfaktoren außer Acht lassen. Sie schafft damit eine wichtige Grundlage für die Entwicklung besserer, umfassenderer Messverfahren, die dem komplexen Verständnis von Resilienz als dynamischem Prozess gerecht werden.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Die Übersicht bestärkt mich darin, bei der Auswahl von Resilienzmaßen genauer hinzuschauen: Welche Faktoren werden erfasst? Für welches Alter sind die Instrumente geeignet? Und wie gut sind sie empirisch abgesichert? Besonders relevant ist das für die Evaluation von Präventionsprogrammen. Wenn wir Resilienz fördern wollen, müssen wir sie auch valide messen können. Der Artikel unterstreicht die Bedeutung von altersgerechten, theoriegeleiteten und gut geprüften Messinstrumenten.

Juni 2025

Das Resilienzparadox: Von starren Merkmalen zu flexiblen Anpassungsprozessen

Bonanno G. A. (2021). The resilience paradox. European Journal of Psychotraumatology, 12(1), 1942642. https://doi.org/10.1080/20008198.2021.1942642

Vorgestellt von: Svenja Mrugalla

Worum geht es? Eine zentrale Frage beschäftigt die Resilienzforschung von Beginn an: Warum gelingt es einigen Menschen, belastende Situationen gut zu bewältigen, während andere stark und dauerhaft darunter leiden? Der Psychologe George A. Bonanno beschreibt in seinem Artikel The Resilience Paradox ein zentrales Problem der bisherigen Resilienzforschung: Die Faktoren, die mit Resilienz – also der Aufrechterhaltung oder schnellen Wiederherstellung psychischer Gesundheit in der Gegenwart von Stress – in Verbindung gebracht werden, wie etwa Persönlichkeit, soziale Unterstützung oder Emotionsregulation, haben zwar einen gewissen Einfluss. Dieser fällt jedoch meist so gering aus, dass sie kaum zuverlässig vorhersagen können, wer tatsächlich resilient reagieren wird und wer nicht. Bonanno schlägt deshalb einen neuen Ansatz vor. 

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Ob einfache Fragebögen oder aufwändige Vorhersagemethoden wie maschinelles Lernen, die mehrere Resilienzfaktoren gemeinsam berücksichtigen – bislang scheitern alle daran, Resilienz zuverlässig vorherzusagen. Der Grund laut Bonanno: Eine Bewältigungsstrategie, die einer Person in einer bestimmten Situation hilft, kann in einem anderen Kontext wirkungslos oder sogar schädlich sein. Einen „One-Size-Fits-All“-Ansatz gibt es in unserer komplexen Lebensumwelt nicht. Resilienz lässt sich demnach nicht mit bestimmten statischen Merkmalen oder festen Handlungstendenzen einer Person erklären, sondern beruht auf der Fähigkeit zur flexiblen Selbstregulation – also darauf, sich immer wieder neu auf die Anforderungen einer Situation einstellen zu können.
Daraus entwickelt Bonanno das Modell der Flexibility Sequence – ein dreistufiger Anpassungsprozess: (1) die Situation und ihre Anforderungen einschätzen, (2) eine passende Bewältigungsstrategie auswählen und (3) prüfen, ob die Strategie erfolgreich war, und sie gegebenenfalls anpassen. Entscheidend ist also nicht, wie viele oder welche Strategien eine Person kennt, sondern ob sie diese flexibel und passend zur jeweiligen Situation einsetzen kann.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Bonannos Beitrag ist für mich deshalb so bedeutsam, weil er einen Perspektivwechsel anstößt: Er verabschiedet sich von der Vorstellung eines „resilienten Typs“ und lenkt den Blick auf die Dynamik von Resilienz. Besonders interessant finde ich, dass das Modell der Flexibility Sequence einen konkreten Ansatz liefert, warum manche Menschen besser mit Belastungen umgehen können als andere – und warum einfache Erklärungen hier zu kurz greifen. Damit eröffnet Bonanno neue Wege für Forschung und Praxis.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Der Artikel unterstreicht für mich, wie zentral es ist, Resilienz nicht als statisches Merkmal, sondern als dynamischen Anpassungsprozess zu erforschen. Deutlich wird: Wir brauchen differenziertere, prozesshafte Studiendesigns und Analysemodelle, um Resilienz als etwas zu untersuchen, das sich über die Zeit hinweg und in unterschiedlichen Kontexten entfaltet. Genau diese Dynamik möchte ich in meiner eigenen Forschung stärker in den Blick nehmen und methodisch erfassbar machen.
Ich beschäftige mich daher schwerpunktmäßig mit der statistischen Modellierung von Anpassungsprozessen – etwa durch latente Wachstumskurvenmodelle oder dynamische Netzwerkansätze. Damit möchte ich dazu beitragen, Resilienzprozesse zukünftig besser zu verstehen und theoretische Konzepte wie Bonannos Flexibility Sequence empirisch mit geeigneten Methoden untersuchen zu können.

Mai 2025

Resilienzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen – Eine Zusammenfassung vorhandenen Wissens

Wiedemann, A., Gupta, R., Okey, C., Galante, J., & Jones, P. B. (2024). A systematic review of pre-pandemic resilience factors and mental health outcomes in adolescents and young adults during the COVID-19 pandemic. Development and Psychopathology, 1-14. 
https://doi.org/10.1017/S0954579424001901

Vorgestellt von: Sophie Streit

Schematische Illustration verschiedener Resilienzfaktoren

Worum geht es? Die COVID-19-Pandemie hat die psychische Gesundheit vieler junger Menschen stark belastet. Doch warum kommen manche Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene besser durch solche Krisen als andere? Anna Wiedemann und Kolleg:innen sind dieser Frage in einer systematischen Übersicht nachgegangen. Sie haben 32 Längsschnittstudien aus zwölf Ländern zusammengefasst, in denen sogenannte Resilienzfaktoren – d.h. schützende Ressourcen, die mit einer besseren psychischen Anpassung in Krisenzeiten verbunden sein könnten – bereits vor der Pandemie erfasst wurden. Im Fokus standen dabei sowohl individuelle (z.B. Selbstwertgefühl), familiäre (z.B. Eltern-Kind-Beziehung) als auch soziale Faktoren (z.B. Freundschaften).

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die Übersicht zeigt: Viele dieser Resilienzfaktoren waren mit einer insgesamt besseren psychischen Gesundheit verbunden – sowohl vor als auch während der Pandemie. Allerdings konnten nur wenige dieser Faktoren tatsächlich vor pandemiebedingten Belastungen schützen. Besonders deutlich zeigte sich: Jugendliche und junge Erwachsene, deren familiäre Beziehungen sich während der Pandemie verbesserten, berichteten seltener von depressiven Symptomen oder Stress. Individuelle Faktoren wie Selbstwertgefühl oder Emotionsregulation zeigten hingegen nur schwache oder zeitverzögerte Effekte.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Der Artikel macht deutlich, wie wichtig es ist, Resilienz als dynamischen Prozess zu betrachten – besonders in Krisenzeiten. Besonders relevant finde ich, dass der Artikel eine Forschungslücke benennt: Viele Studien betrachten Resilienzfaktoren isoliert, ohne Wechselwirkungen oder Veränderungen im Zeitverlauf mitzudenken. Die Übersicht von Wiedemann und Kolleg:innen schafft hier Klarheit und setzt wichtige Impulse – z.B. durch die Empfehlung, Resilienzfaktoren auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu untersuchen.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Für meine eigene Forschung ist der Artikel eine klare Bestärkung: Ich möchte untersuchen, wie sich psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Kontext verschiedener Stressoren über die Zeit entwickelt. Besonders im Fokus steht für mich die familiäre Ebene: Kinder und Jugendliche sind in ihrer Anpassung an Stressoren und Krisen stark von ihrer unmittelbaren sozialen Umwelt abhängig – insbesondere von ihren Bezugspersonen. Der Artikel bestärkt mich in meinem Vorhaben, familiäre Resilienzfaktoren (z.B. Eltern-Kind-Beziehung, familiäre Kohäsion oder elterliche psychische Gesundheit) differenziert zu untersuchen und deren Bedeutung für resiliente Entwicklungsverläufe besser zu verstehen.

April 2025

Flexibilität der Emotionsregulation bei Jugendlichen – Eine Zusammenfassung vorhandenen Wissens

Haag, A. C., Bagrodia, R., & Bonanno, G. A. (2024). Emotion regulation flexibility in adolescents: A systematic review from conceptualization to methodology. Clinical child and family psychology review27(3), 697–713. https://doi.org/10.1007/s10567-024-00483-6

Vorgestellt von: Sarah K. Schäfer

Foto: Resilienzfaktoren und -mechanismen

Worum geht es? Emotionen zu regulieren – also Gefühle bewusst zu beeinflussen, auszudrücken oder zu unterdrücken – ist entscheidend für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit. In der Forschung rückt zunehmend die Flexibilität der Emotionsregulation in den Fokus: Die Fähigkeit, je nach Situation unterschiedliche Strategien der Emotionsbewältigung einzusetzen, anstatt starr bei einer Methode zu bleiben. Während dieses Konzept bei Erwachsenen schon viel Aufmerksamkeit erhalten hat, gibt es bislang nur wenige Studien dazu im Jugendalter​. Ann-Christian Haag und ihre Kolleg*innen fassen bisherige Erkenntnisse in diesem Bereich zusammen und identifizierten 11 Studien, die die Flexibilität des Emotionsausdrucks bei Kindern und Jugendlichen untersuchten. Sie konnten zeigen, dass die bisherige Forschung zwei Konzeptualisierungen von Flexibilität verfolgt: die Flexibilität des Emotionsausdrucks sowie die Flexibilität der eingesetzten Emotionsregulationsstrategien. Wird die Flexibilität des Emotionsausdrucks beforscht, geht es darum je nach Situation Emotionen angemessen zeigen oder verbergen zu können. Steht die Flexibilität bei der Auswahl der Strategien im Fokus, geht es um das Repertoire der vorhandenen Strategien sowie deren passgenaue Auswahl.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung? Die eingeschlossenen Studien legen weitestgehend konsistent nah, dass mehr Flexibilität – sowohl im Ausdruck als auch bei der Wahl der Strategien – mit mehr psychischer Gesundheit assoziiert ist. So fanden sich bei flexibleren Jugendlichen weniger Symptome psychischer Störungen, seltener Verhaltensprobleme, ein besserer Umgang mit Stress, ein höheres Selbstwertgefühl und stabilere soziale Beziehungen.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Aus meiner Sicht sind Ansätze, die Flexibilität als Resilienzfaktor und -mechanismus untersuchen sehr vielversprechend, um resiliente Anpassungsprozesse besser erklären zu können. Die Kindheit und Jugend sind wahrscheinlich die Entwicklungsphasen, in denen diese Flexibilität gelernt wird oder wichtige Lernprozesse ausbleiben. Gleichzeitig wissen wir bisher sehr wenig über diese Entwicklungs- und Lernprozesse.
Ein zentrales Problem der Forschung zu Flexibilität ist nicht selten auch die fehlende konzeptuelle Trennschärfe. Oftmals ist von "Flexibilität" die Rede, aber unter derselben Überschrift verbergen sich ganz unterschiedliche Dinge. Aus meiner Sicht ist die Zusammenfassung von Ann-Christian Haag und ihren Kolleg*innen ein wichtiger Impuls, um mehr Klarheit zu schaffen und auf noch vorhandene Wissenslücken aufmerksam zu machen.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Die Arbeit hat für mich nochmal unterstrichen, wie wichtig es ist, dass wir auch in unseren eigenen Projekten zu Flexibilität (z. B. EmoFlex, ResReBoFam) Konzepte genau klären und für Leser*innen genau definieren. Flexibilität ist eben nicht gleich Flexibilität.
Außerdem hat der Artikel für mich sehr gut zusammengefasst, dass wir in diesem Bereich noch viel Arbeit vor uns haben, ehe es ausreichend evidenzbasierte theoretische Modelle zu Flexibilität bei Kindern und Jugendlichen geben wird. Diese müssen mehr einschließen als nur eine Facette des Konstrukts und sowohl die Wahrnehmung des Kontexts, die Verfügbarkeit eines reichen Repertoires an Strategien sowie das Lernen durch Feedback in den Blick nehmen. Ich freue mich darauf, durch aktuelle und zukünftige Projekte hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen.