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[Klinische Psychologie, Psychotherapie . Diagn]

Galatzer-Levy, I. R., Huang, S. H., & Bonanno, G. A. (2018). Trajectories of resilience and dysfunction following potential trauma: A review and statistical evaluation. Clinical Psychology Review, 63, 41–55. doi.org/10.1016/j.cpr.2018.05.008

Vorgestellt von: Lea Schaubruch

Worum geht es? Die meisten Menschen erleben im Laufe ihres Lebens mindestens ein stark belastendes Ereignis. Dennoch gelingt es vielen, ihre psychische Gesundheit nach einem solchen Ereignis aufrechtzuerhalten oder rasch wiederherzustellen. Zur Untersuchung dieser psychischen Anpassungsreaktionen nach Stressorexposition hat sich in der Resilienzforschung in den letzten Jahren der verlaufsbasierte Ansatz etabliert. Dabei werden Personen mithilfe bestimmter statistischer Verfahren auf Grundlage der Ähnlichkeit ihrer psychischen Reaktionsverläufe in Gruppen typischer Verlaufsmuster eingeteilt. Galatzer-Levy, Huang und Bonanno versuchen in ihrer Übersichtsarbeit erstmals, die bisherige Evidenz in diesem Bereich systematisch zusammenzuführen und zu quantifizieren, wie häufig bestimmte Verlaufsmuster nach potenziell traumatischen Ereignissen auftreten. Dafür wurden 54 Studien mit 67 Analyseeinheiten eingeschlossen, von denen ein kleiner Teil auch Kinder und Jugendliche untersuchte.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie? Die Ergebnisse zeigen vier besonders häufig berichtete Verlaufsmuster: den resilienten Verlauf (d.h. stabil geringe psychische Belastung oder gute psychische Gesundheit) – in 63 Fällen gefunden, mit einer mittleren Prävalenz von 65,7 %; den Erholungsverlauf (d.h. anfängliche Zunahme der psychischen Belastung gefolgt von späterem Rückgang) – in 49 Fällen gefunden, mit einer mittleren Prävalenz von 20,8 %; den chronifizierten Verlauf (d.h. anhaltend hohe psychische Belastung) – in 47 Fällen gefunden, mit einer mittleren Prävalenz von 10,6 %; und den verzögerten Verlauf (d.h. anfänglich geringe, später zunehmende psychische Belastung) – in 22 Fällen gefunden, mit einer mittleren Prävalenz von 8,9 %. Wenn man die Studien mit Kindern und Jugendlichen isoliert betrachtet, zeigen sich ähnliche, aber leicht abweichende Häufigkeiten: Resilienz bleibt die häufigste Reaktion, jedoch mit einer geringeren Prävalenz (mittlere Prävalenz = 52,0 %). Erholungsverläufe (mittlere Prävalenz = 32,0 %) treten häufiger auf, verzögerte (mittlere Prävalenz = 5,6 %) und chronifizierte Verläufe (mittlere Prävalenz = 2,8 %) seltener. Gleichzeitig betonen die Autor:innen, dass die Prävalenzraten zwischen den einzelnen Studien stark variieren, was unter anderem durch die Art des Ereignisses und die Merkmale der untersuchten Population beeinflusst wird.

Was macht den Artikel aus Deiner Sicht zu einem wichtigen Beitrag? Die Arbeit bündelt erstmals Evidenz aus der verlaufsbasierten Resilienzforschung und untersucht systematisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Häufigkeit typischer Verlaufsmuster psychischer Belastung nach potenziell traumatischen Ereignissen über unterschiedliche Populationen, Ereignisse und Kontexte hinweg. Sie liefert damit die ersten übergeordneten Schätzungen zur Prävalenz der häufigsten Verläufe und zeigt empirisch, dass Resilienz – also eine stabil gute psychische Gesundheit trotz Belastung – die häufigste Reaktion ist. Gleichzeitig weisen die Autor:innen auf die großen Unterschiede zwischen Studien hin und betonen, dass Kontextfaktoren wie die Art und Dauer des Ereignisses oder populationsspezifische Merkmale entscheidend für die Interpretation der Ergebnisse sind.

Was nimmst Du mit aus dem Artikel für Deine Arbeit? Für meine eigene Arbeit verdeutlicht der Artikel, wie zentral es ist, psychische Anpassungsreaktionen systematisch zu untersuchen. Die Ergebnisse bestärken mich darin, den Einfluss von Kontextfaktoren auf diese Anpassungsreaktionen noch besser verstehen zu wollen. Nur so lassen sich schützende Faktoren identifizieren und gezielte Präventions- und Interventionsansätze entwickeln, um die Wahrscheinlichkeit einer resilienten Reaktion zu erhöhen und Risiken ungünstiger Verläufe zu senken. Die Hinweise auf Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen machen für mich deutlich, dass die Entwicklungsdimension bei der Untersuchung von Resilienzprozessen stärker in den Blick genommen werden muss. Darüber hinaus war der Artikel für unser Team ein wichtiger Impuls: Er inspirierte eine nachfolgende Publikation, die schließlich den Aufbau unserer ResiMETA-Datenbank angestoßen hat. Die Datenbank sammelt und systematisiert verlaufsbasierte Studien zu unterschiedlichen Stressoren, Populationen, Outcomes und Resilienzfaktoren. Damit ermöglicht sie unter anderem, gezielt Fragestellungen zur Resilienz von Kindern und Jugendlichen zu untersuchen und unser Verständnis von Resilienz über verschiedene Lebensphasen hinweg zu vertiefen.


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