Teilprojekt 1

Mikrofluidischer Perfusionschip zur Bewertung der maladaptiven Plastizität bei neurodegenerativen Erkrankungen

Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit ist die Untersuchung des Gehirns auf molekularer Ebene, indem wir die C-zu-U-RNA-Editierung und das alternative RNA-Spleißen untersuchen. Insbesondere analysieren wir Schlüsselkomponenten der molekularen Maschine, die für die Hemmung elektrischer Impulse verantwortlich ist, nämlich Glycinrezeptoren (GlyR) und GABA-Rezeptoren vom Typ A (GABA(A)R) sowie das postsynaptische Gerüstprotein Gephyrin. Wir klären die Funktion dieser Moleküle in physiologischen und pathophysiologischen Prozessen auf molekularer, zellulärer und systemischer Ebene auf. Die Temporallappenepilepsie (TLE) ist eine verheerende neurodegenerative Erkrankung, die die Lebensqualität durch das unvorhersehbare Auftreten von Anfällen und die daraus resultierenden kognitiven Funktionsstörungen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus leiden Epilepsiepatienten unter schweren psychiatrischen Komorbiditäten wie Angstzuständen und Depressionen. Die meisten Epilepsiesyndrome haben keine erkennbare genetische Komponente. Dies deutet darauf hin, dass die Epilepsieentstehung durch krankheitsfördernde molekulare und zelluläre Mechanismen der neuronalen Plastizität gesteuert wird, die von Patient zu Patient unterschiedlich sein können und zelltypspezifische Mechanismen beinhalten, was zu den verschiedenen klinischen Bildern der kryptogenen/idiopathischen TLE führt. Kürzlich haben wir in unserem Labor molekulare Werkzeuge entwickelt und fortschrittliche chemisch-biologische Ansätze angewandt, um C-zu-U-RNA-Editing im Allgemeinen und auf GlyR bezogen im Besonderen auf Einzelzellebene in vitro und in vivo zu visualisieren und zu charakterisieren und somit kritische Zelltypen mit TLE-abhängigen Veränderungen im RNA-Editing zu identifizieren.

 

Genauer gesagt haben wir das C-zu-U-RNA-Editing des Neurotransmitter-Rezeptors für Glycin (GlyR) als kritisches Ziel bei der Entwicklung neuropsychiatrischer Symptome von TLE identifiziert, indem wir Hippocampi, die von Patienten mit TLE entnommen wurden, analysiert und ihre pathophysiologische Rolle in Mausmodellen der Krankheit untersucht haben. Transgene Tiere eröffneten die Möglichkeit, die Rolle der editierten GlyR auf eine neuronentypspezifische Weise zu untersuchen. Im Rahmen des VW-Vorab-Konsortiums HomeoHIRN untersuchen wir nun die Rolle von editierten GlyRs in einem neuronalen Kompartiment-spezifischen Ansatz und konzentrieren uns insbesondere auf den möglichen (patho)physiologischen Dialog oder das Scheitern des Dialogs zwischen Veränderungen der präsynaptischen Erregbarkeit und der homöostatischen Regulation durch das somatodendritische Kompartiment.

 

Wir fragen, ob es somatodendritische Mechanismen gibt, die Veränderungen im Output von Neuronen, die auf Veränderungen in der präsynaptischen Funktion aufgrund der Expression von RNA-editierten GlyR zurückzuführen sind, wahrnehmen und ihnen schließlich entgegenwirken (oder nicht entgegenwirken). Um dieses Ziel zu erreichen, entwickeln wir mikrofluidische Kammern (MFC) für die In-vitro-Zellkultur von primären Neuronen, die von Wildtyp- und unseren transgenen Mäusen stammen. Der mikrofluidische Ansatz soll es ermöglichen, Epifluoreszenz-Mikroskopie und konfokale Bildgebung sowie Super-Resolution-Mikroskopie mit Optogenetik und Elektrophysiologie mittels Mikroelektroden-Arrays (MEA) und Ganzzell-Patch-Clamp zur Analyse passiver Membraneigenschaften sowie verschiedener Parameter der synaptischen Konnektivität in einer kompartimentierten Umgebung zu kombinieren (siehe Abbildung). Die MEA wird auch für das Screening von Substanzen im Hochdurchsatzverfahren eingesetzt, da sie für jeden Zelltyp (einschließlich Fibroblasten HEK293-Zellen, die ausgewählte Proteine exprimieren) geeignet ist. Die Datensammlung basiert auf Fluoreszenzbildgebung und -stimulation (z. B. Optogenetik) sowie auf der Aufzeichnung lokaler elektrischer Feldpotentiale. Elektrophysiologische Ganzzell-Patch-Clamp-Analysen werden die zelltyp- und zelltypkompartimentspezifischen Datensätze ergänzen. Optisch zugängliche Lab-On-Chip-Systeme, die Experimente mit lebendem Gewebe in Mikrokompartimenten ermöglichen, wurden in der Vergangenheit durch fortschrittliche Mikro-/Nano-Fertigungstechniken entwickelt [Mattern et al. 2020, Lorenz et al. 2021]. Das in HomeoHIRN mit digitalen und maskenbasierten Technologien zu realisierende MFC bietet neuronale Subkompartimente, die durch eine physikalische Barriere getrennt sind. Diese Barriere kann nur durch Mikrofurchen passiert werden, die das Wachstum der einzelnen Axone leiten. Aufgrund der Kombination größerer Außenabmessungen mit sehr viel kleineren Mikrofurchen muss ein MFC-Gießmaster mit verschiedenen Methoden hergestellt werden: Zwei-Photonen-Polymerisation (2pp) für den Teil mit den Mikrofurchen und konventionelle 3D-Drucktechniken für den Kammerteil. Die Abformungen des Kammerkörpers und der Mikrofurchen werden durch die so genannte Softlithographie mit PDMS realisiert. Die Kombination aus beidem wird durch Sauerstoff-Plasma-Bonding hergestellt. Die MFC wird durch reversible Verbindung mit einem Glasobjektträger fertiggestellt, wobei die Mikrofurchen abgedeckt werden und ein optischer Zugang für hochauflösende Mikroskopie geschaffen wird. Das Medium, das durch die verschiedenen Kompartimente der Kammer fließt, steht für Metabolomics und Wirkstoffscreening zur Verfügung. Anstelle eines „nackten“ Glasobjektträgers kann ein mit einem MEA bestücktes Deckglas, das nicht nur in der Lage sein soll, elektrische Aktivitäten aufzuzeichnen, sondern auch zu stimulieren, mit der MFC verbunden werden. MEAs werden durch lithografische Prozesse im Reinraum hergestellt und an die Geometrie der Mikrofurchen angepasst. 

 

Wir haben erfolgreich verschiedene Technologien entwickelt, um die RNA-Editierung spezifischer Ziele und die C-zu-U-RNA-Editierung im Allgemeinen auf Einzelzellebene und Kompartiment-spezifisch zu untersuchen. Unsere kürzlich entwickelten molekularen Werkzeuge ("RNA-Editing-Sensor" [Kankowski et al., 2018] und C-zu-U-RNA-Editing-induzierbares Proteinexpressionssystem "CUREIPES" [Schweissthal et al., 2021]) stehen zur Verfügung, um die Aktivität von C-zu-U-RNA-Desaminasen, die das RNA-Editing auf Zelltyp-spezifischer Ebene katalysieren, durch kompartimentierte Translokation fluoreszierender Proteine oder durch Beginn der Expression fluoreszierender Proteine durch RNA-Editing nachzuweisen und quantitativ zu messen. CUREIPES kann nicht nur als Reporterwerkzeug eingesetzt werden, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, als Reaktion auf eine erhöhte RNA-Editierung bei Bedarf bestimmte Proteine zu exprimieren, um pathophysiologischen Veränderungen der RNA-Editierungsraten entgegenzuwirken. Auf der Grundlage unserer etablierten neuen molekularen Werkzeuge arbeiten wir derzeit an einem neuen System, das die Visualisierung der Enzymaktivität in Echtzeit direkt an der Stelle in der Zelle (bis hinunter zur Synapse) ermöglicht, an der das RNA-Editing stattfindet. Um die Entwicklung unserer molekularen Werkzeuge also auf die nächste Stufe zu heben, entwickeln wir dieses neuartige Werkzeug für die Echtzeit-Detektion von C-zu-U-RNA-Editing in einem Zellkompartiment, das bis auf die Ebene einzelner Synapsen auflösen kann.

Microfluidic experiments on neuronal homeostasis
Mikrofluidische Experimente zur neuronalen Homöostase. A) Schema zur Darstellung des experimentellen Prinzips für die kompartimentierte Analyse der RNA-Editierung und der synaptischen Konnektivität zwischen primären Hippocampus-Neuronen der Maus. Neuronen in beiden Kompartimenten der Kammer differenzieren sich, und die Axone werden besonders durch die Mikrofurchen angezogen, nachdem der neurotrophe Faktor des Gehirns (BDNF) im rechten Kammerkompartiment appliziert wurde. Es werden elektrophysiologische Untersuchungen an ganzen Zellen, optogenetische Untersuchungen, elektrische Stimulation durch Mikroelektroden-Arrays und konfokale Mikroskopie durchgeführt. B) Bilder der kompartimentierten mikrofluidischen Kammer und des Mikroelektroden-Arrays. C) Das Proof-of-Principle-Experiment zeigt die synaptische Konnektivität zwischen eGFP- und mCherry-exprimierenden Hippocampus-Neuronen. Beachten Sie, dass "grüne" Axone durch die Mikrofurchen wachsen und mCherry-positive Neuronen kontaktieren. Maßstabsleiste: 10 µm.

Veröffentlichungen

Lemmens, V., Thevelein, B., Vella, Y., Kankowski, S., Leonhard, J., Mizuno, H., Rocha, S., Brône, B., Meier, J. C., & Hendrix, J. (2022). Hetero-pentamerization determines mobility and conductance of Glycine receptor α3 splice variants. Cellular and molecular life sciences : CMLS, 79(11), 540. https://doi.org/10.1007/s00018-022-04506-9

Schweissthal B, Brunken K, Brach J, Emde L, Hetsch F, Fricke S, Meier JC. A new triple fluorescence reporter system for discrimination of Apobec1 and Apobec3 C-to-U RNA editing activities and editing-dependent protein expression. bioRxiv 2021; doi: 10.1101/2021.03.03.433736

Kankowski S, Förstera B, Winkelmann A, Knauff P, Wanker EE, You XA, Semtner M, Hetsch F, Meier JC. A Novel RNA Editing Sensor Tool and a Specific Agonist Determine Neuronal Protein Expression of RNA-Edited Glycine Receptors and Identify a Genomic APOBEC1 Dimorphism as a New Genetic Risk Factor of Epilepsy. Front Mol Neurosci. 2018 Jan 11; 10:439. doi: 10.3389/fnmol.2017.00439. PMID: 29375302; PMCID: PMC5768626.

Mattern, K., Trotha, J.W., Erfle, P., Köster, R.W., Dietzel, A., NeuroExaminer: an all-glass microfluidic device for whole-brain in vivo imaging in zebrafish (2020) Communications Biology, 3 (1), art. no. 311, DOI: 10.1038/s42003-020-1029-7.

Lorenz, T., Kirschke, M., Ledwig, V., Reichl, S., Dietzel, A., Microfluidic system for in vivo-like drug permeation studies with dynamic dilution profiles (2021) Bioengineering, 8 (5), art. no. 58, DOI: 10.3390/bioengineering8050058.

Kontakt

Prof. Dr. Jochen Meier
Technische Universität Braunschweig
Zoological Institute
Cell Physiology
Spielmannstraße 7
38106 Braunschweig
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Email: jochen.meier@tu-braunschweig.de
ORCID: 0000-0001-5574-3336
https://www.tu-braunschweig.de/zoology/forschung/zellphysiologie

 
Prof. Dr. Andreas Dietzel
Technische Universität Braunschweig
Institute of Microtechnology - IMT
Alte Salzdahlumer Str. 203
38124 Braunschweig
Phone: +49 531 391 9760
Email: a.dietzel@tu-braunschweig.de
ORCID: 0000-0003-2090-6259
https://www.tu-braunschweig.de/imt