Plazenta (April)

Objekt des Monats

An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!

Plazenta: Wir trauen ihr viel zu ...

[Abb. 1]: Plazentamodell von Martina Milicic: farbige Wolle, gehäkelt.

... und das seit langer Zeit und zu Recht. Und doch ist es erstaunlich, dass verschiedene Kulturen zu unterschiedlichen Zeiten ganz ähnliche Ideen über ihre Rolle entwickelt haben - bei allen Unterschieden.

Was hat Plazenta aber genau in unserer Arzneimittelhistorischen Sammlung zu suchen? Darauf wirft dieser Beitrag ein Schlaglicht, und er zeigt, dass die Diskurse über ihre Anwendung nicht nur viele Jahrhunderte alt sind, sondern immer wieder neu an Aktualität gewinnen. Davon zeugt das erste hier vorgestellte Objekt: Ein aktuelles, gehäkeltes Plazenta-Modell von Martina Milicic. Die Nabelschnur mit Nabelschnurvene und Nabelarterien sind abgebildet, und kleinere Blutgefäße münden in sie ein. Die zurückgezogenen Eihäute sind ebenfalls angedeutet.

Bei der Geburt eines Kindes muss genau kontrolliert werden, ob die Plazenta intakt ist. Wenn Gewebe in der Gebärmutter zurückbleibt, besteht Infektionsgefahr.

Sowohl die ganze Plazenta als auch ihre einzelnen Bestandteile haben und hatten symbolische Bedeutung: So wird manchmal ein Baby mit einem Teil der Nabelschnur auf dem Kopf geboren, was gerne als gutes Omen gedeutet wird, dieser Teil heißt dann auch "Glückshaube". Die Nabelschnur und die gesamte Plazenta wurden in verschiedenen Kulturen, auch in Europa, beerdigt oder begraben oder auch in getrocknetem Zustand aufgehoben. Wurde eine begrabene Plazenta von Tieren gefressen, so konnte dies Unglück bringen, weshalb vielerorts eine Aufbewahrung in Tontöpfen im Haus bevorzugt wurde. Interessant ist, dass im China der Ming-Zeit (bis zum 17. Jahrhundert) ähnliche Regeln galten.

In dieser Zeit wurde menschliche Plazenta aber auch vielfältig für arzneiliche Zwecke eingesetzt, wie Prof. Hsiu-fen Chen (National Chengchi University und Academia Sinica, Taipei) erforscht hat. Unter den vielen Indikationen sind vielleicht die wichtigsten die der Stärkung von Energie und lebensspendendem Blut sowie der Reproduktionsorgane. Blut spielte auch in der medizinischen Kultur Europas eine wichtige Rolle, um normale und pathologische Zustände des weiblichen Körpers, besonders bei Schwangerschaft und Mutterschaft, zu erklären: Das Menstruationsblut galt nämlich seit der Antike als der wichtigste weibliche Beitrag zur Reproduktion. Aus diesem sollte sich nach der Befruchtung die Plazenta bilden, die dann oft auch als "Kleid" des Ungeborenen bezeichnet wurde, übrigens wieder eine Parallele zu den Vorstellungen in China, wo ähnliche Bezeichnungen überliefert sind. Eine weitere Parallele: Gegen Ende der Schwangerschaft sollte sich dieses Blut in Muttermilch verwandeln.

[Abb.2]: Placenta und Ungeborenes, in Ruf, Jacob; Trostbüchle, 1554, 3. Buch, S. XXXIIII. https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb00024324

Daher erschöpfte sich nach Vorstellungen europäischer Geburtshelfer*innen am Ende der Schwangerschaft die Kapazität der Plazenta, das Kind zu ernähren, worauf dieses selbst nach einem Weg aus dem Mutterleib strebte und damit die Geburt initiierte. In beiden Kulturen war die Plazenta nicht einfach ein passives Objekt, sondern befand sich in einem Zwischenzustand. Auch nach der Geburt (der ältere Begriff für Plazenta ist in Europa "Nachgeburt", auf Lateinisch "secundinae") trug sie noch etwas vom Leben im Mutterleib an sich. So wird sie in einer Quelle aus dem 16. Jahrhundert auch wie ein "Zwilling" des Kindes dargestellt. In Europa wurden traditionell die verschiedensten Arzneien aus menschlichen Körperteilen verwendet. Der Weg aus dem einen menschlichen Lebenszustand in den anderen wird in vielen Kulturen mit bestimmten Ritualen begleitet. Der für Plazenta verwendete chinesische Name "Purpurfluss-Gefährt" (紫河车; zi he che) hat wohl eher etwas mit dem Fließen innerhalb des Körpers zu tun, aber er zeigt vielleicht symbolisch auch diesen Übergang an.

Heute noch wird Plazenta in der chinesischen Materia Medica aufgeführt. Allerdings wird betont, dass heutzutage anstatt menschlicher Plazenta diejenige verschiedener Tiere verwendet wird, in der Klassifikation gehört sie aber zu einer ganzen Gruppe von Arzneien, die aus dem menschlichen Körper zubereitet wurden. Auch nachdem in Europa die Zubereitungen aus toten menschlichen Körpern in den Hintergrund traten, waren Präparate aus menschlichen Körperflüssigkeiten wie Urin, Blut, Muttermilch noch lange präsent, nicht nur in der populären Medizin, sondern auch in den Arzneibüchern.

[Abb. 3]: Menschliche Plazenta: Hominis Placenta, 紫河車 (zi he che), In: Yen, Kun-ying: The Illustrated Chinese Materia Medica. Crude Drugs. Taipei: Southern Materials Center 1980, p. 224.

Einige Rätsel haben uns Rezepte aufgegeben, die Ende des 16. Jahrhunderts in einem deutschen Arzneibuch auftauchten. Üblicherweise wurde nämlich bis dahin in beiden Kulturen die Plazenta gründlich gereinigt, gedünstet und getrocknet oder gleich getrocknet und dann zum Gebrauch pulverisiert; in China wurde sie auch zu Pillen verarbeitet. Daneben konnte sie wie ein anderes Nahrungsmittel zubereitet und gegessen werden. Ende des 16. Jahrhunderts wartete ein deutscher Autor mit einem Rezept für die Destillation von Plazenta auf. Dazu wurde sie mazeriert und dann über mehrere Stufen in einer Retorte destilliert. Beide Kulturen standen im 17. Jahrhundert unter dem Einfluss unterschiedlicher Versionen von Alchemie und maßen dadurch Zubereitungen von Produkten des menschlichen Körpers große Bedeutung zu, aber die Idee, ein Destillat zu verfertigen, hat wohl nur im Westen verfangen. In offiziellen Arzneibüchern taucht jedoch auch im Westen vor allem getrocknete, pulverisierte Plazenta auf; dies etwa bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, obwohl Nachschlagewerke für sogenannte "Volksmedizin" die verschiedenen Präparate und Anwendungen noch im 20. Jahrhundert nennen.

[Abb. 4]: Placentubex: Prospekt Merz und Co, 1950er Jahre.

War's das also mit Plazenta als Arzneimittel? Im Gegenteil - es ging nochmal richtig los, als die Erforschung der menschlichen Sexualhormone begann. Nach heutiger Erkenntnis produziert die Plazenta vom Beginn der Schwangerschaft an das sog. humane Choriongonadotropin (hCG), ab dem vierten Monat auch Progesteron (Gelbkörperhormon). 1928 entstand daraus ein erster Schwangerschaftstest, da hCG auch mit dem Urin ausgeschieden wird. Zunächst wurde das hCG mit den Hormonen des Hypophysenvorderlappens verwechselt, was dazu beitrug, die Gefühlswelt der werdenden Mütter noch stärker aus hormonellen Zusammenhängen zu erklären. Das führte teilweise zu einer Biologisierung der Mutterschaft und verstärkte die Vorstellung, dass Weiblichkeit etwas mit Jugendlichkeit oder zumindest dem gebärfähigen Alter zu tun hat.

[Abb. 5]: Packung Placenta Ampoule Creme, Mizon. Arzneimittelhistorische Sammlung, Inv. Nr. 3312.

Seit den 1950er Jahren werben Kosmetikfirmen damit, dass ihre Kosmetika Inhaltsstoffe der Plazenta gegen vorzeitiges Altern der Haut einzusetzen (Abb.4). Während ursprünglich hierzu in der Tat weibliche Plazenten aus Kliniken aufgekauft wurden, ist dies heute längst nicht mehr der Fall.

Allerdings wird mit Inhaltsstoffen wie "Plazenta-Protein" und deren angeblich hautverjüngenden Eigenschaften nach wie vor geworben (s. Abb. 5)

Von Bettina Wahrig