Prof. Anne Paschke zu Rechtsfragen beim autonomen Fahren

[Notizen]

„Jetzt liegt es an der Praxis, den Rechtsrahmen auszufüllen und zum Leben zu erwecken“

Die technologischen Grundlagen für autonomes Fahren sind weit fortgeschritten, automatisierte Fahrfunktionen werden in der Praxis erprobt. Der nächste Schritt hin zum großflächigen Einsatz von Level 4-Fahrzeugen, also der höchsten Stufe des autonomen Fahrens, steht allerdings noch aus. Für den sicheren Einsatz autonomer und automatisierter Fahrzeuge auf unseren Straßen muss der aktuelle Rechtsrahmen seine Praxistauglichkeit beweisen und müssen neue Anforderungen formuliert werden. Das betrifft zum Beispiel die Zulassung, die Betriebsbereiche und die Haftung. Welche Hindernisse noch zu überwinden sind, wie Rechtssicherheit hergestellt werden kann und wie die TU Braunschweig dazu forscht, darüber spricht Professorin Anne Paschke. Sie leitet das Institut für Rechtswissenschaften an der Technischen Universität Braunschweig und forscht u.a. zum Recht der Digitalisierung, Daten(schutz)recht und Mobilitätsrecht.

Seit Juli 2021 ist das Gesetz zum autonomen Fahren in Kraft. Was regelt das Gesetz? Welche Einschränkungen werden gemacht?

Das Gesetz zum autonomen Fahren aus dem Jahr 2021 ergänzt die vier Jahre zuvor erfolgte Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes, die erstmals automatisiertes Fahren reguliert hat. Nun werden weitere Stufen der Automatisierung und Vernetzung im Straßenverkehr rechtlich ermöglicht, indem das Gesetz den fahrerlosen Einsatz von Kraftfahrzeugen in bestimmten örtlichen Bereichen (sog. festgelegten Betriebsbereichen) erlaubt.

Somit benennt das Gesetz gleichzeitig klare Grenzen für den Betrieb autonomer Fahrzeuge: Zum einen kann man sich mit seinem „autonomen“ Fahrzeug nur auf ausgewiesenen Strecken bewegen, zum anderen kann sich der Halter eines Kraftfahrzeugs mit autonomer Fahrfunktion nicht einfach „zurücklehnen“. Er ist vielmehr zur Erhaltung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs verpflichtet und hat zu gewährleisten, dass die Aufgaben einer Technischen Aufsicht erfüllt werden. Der fahrerlose Fahrvorgang muss nämlich dauerhaft durch eine Technische Aufsicht begleitet werden, die aus der Ferne während des autonomen Fahrbetriebs bestimmte Fahrfunktionen deaktivieren und freigeben kann. Die Aufgabe der Technischen Aufsicht übernimmt wiederum eine natürliche Person. Ganz ohne Menschen geht es eben noch nicht.

Der Titel des Gesetzes ist also leicht irreführend: Auch nach diesem Gesetz ist „echtes“ autonomes Fahren, d.h. die rein digitale Steuerung des Fahrzeugs ohne menschlichen Einfluss, in Deutschland noch nicht zugelassen.

Werden das Gesetz und die „Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung – AFGBV“ den Anforderungen des Marktes und der Technik heute noch gerecht?

Die neuen Regelungen sind ein weiterer (Zwischen-) Schritt auf dem Weg in ein neues Recht der digitalen Verkehrsinfrastruktur. So muss sich das Zusammenspiel von Kfz-Hersteller, IT-Experten, Technischer Aufsicht und dem vorprogrammierten Fahrzeug in der Praxis erst beweisen. Das Gesetz zum autonomen Fahren wird den Anforderungen des Marktes aber insoweit gerecht, als es Rechtssicherheit dahingehend schafft, welche technischen Komponenten die Hersteller entwickeln müssen, um sicheres autonomes Fahren in Deutschland zu gewährleisten.

Thema Haftung: Gibt es hier inzwischen Rechtssicherheit? Haftet der Hersteller oder der Fahrzeughalter? Können technische Einrichtungen wie eine Blackbox bei der Fehlersuche und Schuldfrage ausreichend gut helfen?

Die Haftungsfragen sind auf dem Papier geklärt, allerdings noch nicht praxiserprobt. Immerhin sind die Pflichten der Beteiligten (Fahrzeughalter, Technische Aufsicht, Fahrzeughersteller) beim Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion in § 1f StVG nun aufgelistet. Aktuell haftet der Hersteller für echte Sachmängel des Fahrzeugs und der Halter für die sog. Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges. Positiv dabei ist zu bewerten, dass potenziell Geschädigten in einem Prozess mehrere Möglichkeiten zur Erlangung von Schadensersatz und Schmerzensgeld zustehen. Ob sich das Haftungssystem allerdings im Regelbetrieb bei der Mensch-Maschine-Interaktion bewährt, wird sich noch zeigen.

Im Übrigen geht man davon aus, dass die Haftungshöchstgrenzen nach § 12 StVG, die bereits für hoch- und vollautomatisierte Fahrzeuge im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen erhöht wurden, auch für autonome Kraftfahrzeuge gelten. Wie aber der Anteil von Fehlern bzw. Fehlverhalten bei der Mensch-Maschine-Interaktion zu berechnen und zu bewerten ist, wird noch erforscht. Technische Mittel (wie eine „Blackbox“), die helfen, den Sachverhalt aufzuklären, sind sicher sachdienlich für die Klärung der Verantwortlichkeit.

Wir dürfen in der Diskussion einer künftigen Haftungsverteilung jedoch nicht vergessen, dass es im Straßenverkehr aufgrund der bestehenden Rechtsprechung zum Mitverschulden verschiedener Verkehrsteilnehmer auch heute in den meisten Fällen keine hundertprozentige Sicherheit gibt, wer für einen entstandenen Schaden mit welchem Anteil haftet.

„Aufrechnen von Menschenleben“, „kleinstes Übel“, Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (alt vs. jung): Beim autonomen Fahren spielen Algorithmen und maschinelles Lernen eine große Rolle. Sie entscheiden auch in kritischen Situationen und benötigen Maßgaben für die ethische Beurteilung von Unfallsituation. Welche Entwicklungen zeichnen sich hier ab?

Für diese Überlegungen gibt es im Recht wenig Spielraum. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung (u.a. in der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz) einer Aufrechnung „Leben gegen Leben“ eine klare Absage erteilt. Ein Algorithmus darf in einer Unfallsituation weder auf persönliche Merkmale eines Menschen noch auf die Anzahl von Menschen, die hierdurch verletzt würden, abstellen. Vielmehr ist der Algorithmus derart zu programmieren, dass er Schäden von Menschen verhindert.

Die Ethikkommission für automatisiertes und vernetztes Fahren hat in ihrem Abschlussbericht 2017 zu diesen Überlegungen verschiedene Thesen aufgestellt, die europaweit viel Zustimmung gefunden haben. Das Gesetz zum autonomen Fahren greift diese Thesen auf, wenn es nun in § 1e Abs. 2 StVG regelt: Kraftfahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion müssen über ein System der Unfallvermeidung verfügen, das auf Schadensvermeidung und Schadensreduzierung ausgelegt ist, bei einer unvermeidbaren alternativen Schädigung unterschiedlicher Rechtsgüter die Bedeutung der Rechtsgüter berücksichtigt, wobei der Schutz menschlichen Lebens die höchste Priorität besitzt, und für den Fall einer unvermeidbaren alternativen Gefährdung von Menschenleben keine weitere Gewichtung anhand persönlicher Merkmale vorsieht. Außerdem hat sich das Kraftfahrzeug selbstständig in einen risikominimalen Zustand zu versetzen, wenn die Fortsetzung der Fahrt nur durch eine Verletzung des Straßenverkehrsrechts möglich wäre.

Welche Streitpunkte gibt es bei der Regelung des autonomen Fahrens noch?

Eine der noch ungeklärten Fragen ist, welche Risiken eine Gesellschaft einzugehen bereit sein sollte, wenn eine solche Innovation wie das autonome Fahren umgekehrt herausragende Chancen mit sich bringt. Nach einer Befragung des TÜV-Verbandes ist fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung der Meinung, dass eine KI für autonomes Fahren absolut fehlerfrei arbeiten müsse. Gut ein Viertel möchte, dass diese Technologie zumindest mehr Sicherheit als bei menschlichen Fahrern mit sich bringt. Mehr als Dreiviertel der Bundesbürger fordert gar, dass sicherheitskritische KI-Systeme während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs von unabhängigen Stellen geprüft werden sollten.

Aus juristischer Sicht gilt es in den kommenden Jahren, den aktuellen Rechtsrahmen auf seine Praxistauglichkeit zu untersuchen. Gegebenenfalls müssten die bestehenden Regelungen angepasst und überarbeitet werden. Die aktuellen Vorgaben zielen auf ein sehr hohes Sicherheitsniveau ab und besitzen damit hohe bürokratische Hemmnisse. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und den hohen technischen Anforderungen stellt sich die Frage, ob der geschaffene Rechtsrahmen der Marktrealität gerecht werden kann. Hierfür braucht es allerdings konkrete Erfahrungswerte aus Industrie und Verwaltung, die erst dann entstehen, wenn Anträge auf Genehmigungen auch tatsächlich gestellt werden und fahrerlose Fahrzeuge im Einsatz sind.

Das sind nur einige Punkte, die uns auch in der Forschung in den kommenden Jahren beschäftigen werden. Im durch das BMWK geförderten Transformationshub MIAMy setzen sich Forschende aus verschiedenen Fachdisziplinen unter der Leitung des NFF (Niedersächsisches Forschungszentrum Fahrzeugtechnik) der TU Braunschweig mit der Markteinführung autonomer Fahrzeuge auseinander und stellen Thesen auf, wie die Transformation der Automobilindustrie gelingen könnte.

Die Technik prescht vor, die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen hinken noch hinterher. Kann man das so sagen?

Ja, wobei das nichts Neues ist. Die rechtliche Entwicklung kann in der Regel mit der technischen Entwicklung nicht mithalten. Das Recht hinkt regelmäßig hinterher. Das ist aber nicht nur negativ zu betrachten, weil Rechtsnormen auch eine gewisse Beständigkeit haben müssen, um die ihnen zugrundeliegenden Werte nicht einfach preiszugeben. Es bedarf immer einer interessengerechten und wertegebundenen Abwägung, die eine Beteiligung vieler Akteure erfordert.

Gleichwohl muss man gerade im Kontext des automatisierten und autonomen Fahrens auch feststellen, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zum autonomen Fahren und der AFGBV bereits rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen hat. Jetzt liegt es an der Praxis, diesen Rechtsrahmen auszufüllen und zum Leben zu erwecken. Sofern die Hersteller (noch) wenige bis keine Anträge auf Genehmigung ihrer Fahrfunktionen stellen, kann der Rechtsrahmen auch nicht auf die Probe gestellt werden.

Noch sind keine vollautonomen (L4) Fahrzeuge auf der Straße, nach einer Einführungsphase wird es einen Mischverkehr aus konventionellen und autonom fahrenden Fahrzeugen geben. Wird das aus juristischer Sicht eine Herausforderung darstellen?

Definitiv ja. Wir haben es in dieser Übergangszeit mit zwei unterschiedlichen Steuerungssystemen zu tun, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Unser gesamtes Verkehrsrecht ist dem Grunde nach auf einen menschlichen Fahrer ausgelegt. So heißt es z.B. in der StVO, dass die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht erfordert. Nun kann man sich die Frage stellen, was konkret vorsichtiges und rücksichtsvolles Verhalten für ein fahrerloses Fahrzeug bedeuten soll. Wenn es im Mischverkehr zu einem Verkehrsunfall kommt, gelten keine einheitlichen Haftungsmaßstäbe, weil sich für das konventionelle Fahren eine Gefährdungshaftung mit Haftpflichtversicherung etabliert hat, während die Verantwortungsteilung in der digitalen Verkehrsinfrastruktur noch nicht praxiserprobt ist. Wahrscheinlich muss der Gesetzgeber die Haftungsfrage insbesondere im Mischverkehr erneut in den Blick seiner Rechtsetzung nehmen, dafür fehlt es aber derzeit an der Praxiserprobung der bereits existierenden Vorschriften.

Wie ist das geregelt, wenn ich mit meinem L4-Fahrzeug über die Grenze bspw. in die Niederlande fahre? Gibt es eine Harmonisierung des Rechts auf europäischer Ebene?

Grundsätzlich gibt es internationale verkehrsrechtliche Standards, die insbesondere im Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr festgelegt sind. Es wäre den Verkehrsteilnehmern auch kaum zu vermitteln, dass sie sich beim Grenzübertritt ständig neu orientieren müssten (von ein paar Sondervorschriften abgesehen). Im Sommer 2022 hat die Europäische Union zudem mit der sog. ADS-Verordnung (ADS steht für Automated Driving System) erstmalig einheitliche Typgenehmigungsvorschriften für automatisierte Fahrsysteme von vollautomatisierten Fahrzeugen etabliert. Das ändert allerdings nichts daran, dass auch für diese Fahrzeuge die nationalen Vorschriften etwa zum festgelegten Betriebsbereich oder zur Technischen Aufsicht einzuhalten sind. Beim autonomen Fahren erleben wir in der Europäischen Union und darüber hinaus ganz unterschiedliche Reformgeschwindigkeiten, so dass es insoweit tatsächlich bis heute kein einheitliches europäisches oder internationales Recht gibt. Man muss sich deshalb informieren, wie die Rechtslage in dem Land ist, in dem man sich mit seinem automatisierten und vernetzten Fahrzeug fortbewegen will.

Vielen Dank.

 

Kontakt

Prof. Dr. Anne Paschke

Technische Universität Braunschweig
Institut für Rechtswissenschaften
Bienroder Weg 87
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-2461
anne.paschke(at)tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/recht