BiodiversitĂ€t und Ressourcenschonung sind zwei prinzipielle Ziele, auf die sich die Menschen in westlichen Demokratien schnell einigen können. Aber wenn es um konkrete Zielvorgaben geht, stehen nicht nur ökonomische gegen ökologische Interessen. Vielmehr konkurrieren einzelne Schutzziele innerhalb der Umweltpolitik miteinander, ĂŒber deren PrioritĂ€t heftig gestritten wird. Dahinter stehen oft wieder ökonomische Interessen, aber wenn man die Diskussionen weiter aufschlĂŒsselt, finden sich neben unterschiedlichen Wertvorstellungen auch MachtgefĂ€lle und soziale Ungleichheit. Auf Initiative von Siran Liang (TU Braunschweig) und Karolin Kautzschmann (LU Hannover) haben wir versucht, das KnĂ€uel von Konflikten, Konkurrenzen und Kooperationen zwischen ânatĂŒrlichenâ und menschlichen Akteur*innen anhand einer konkreten Fallstudie gemeinsam in Augenschein zu nehmen.
WĂ€hrend eines Abendessens fragte die Doktorandin Siran, die in Sachsen ethnologische Forschungen durchfĂŒhrte, ihren neuen Freund Thomas Plate, den Leiter einer Torgauer Fischerei, beilĂ€ufig: "Was ist die gröĂte Herausforderung in eurer Fischerei?" "Kormorane", sagte Thomas.
Ein Jahr spĂ€ter interviewten Studierende des Seminars "Environmental Humanities - Digital Hub" zusammen mit Geographiestudierenden der LUH des Seminars âGeographien Ungleicher Entwicklungenâ Thomas und beschlossen, eine Exkursion zu seiner Fischerei zu unternehmen, um die Mensch-Umwelt-Beziehung und Strukturen und Prozesse von lokalen und globalen Ungleichheiten zu verstehen.
Nach drei Stunden Fahrt kamen wir am FischereigebĂ€ude an. Bei der Ankunft waren einige Studierende schnell von den groĂen Vögeln und zwei Nutrias abgelenkt. Nachdem wir uns mit den Nutria vertraut gemacht und am Fischimbiss gegessen hatten, gab Thomas uns eine kurze EinfĂŒhrung in die Geschichte der Fischerei, wobei wir erfuhren, dass sich die Bedingungen fĂŒr die Fischereiwirtschaft in den letzten vier Jahrzehnten drastisch geĂ€ndert haben. âMan war in der Volkswirtschaft eine wichtige Positionâ, sagte Thomas ĂŒber die Binnenfischerei. Heute sieht es anders aus:
âNaturschutz, Klimawandel, Gewinn, BuÌrokratie, BeduÌrfnisse der Kundschaft unter einen Hut zu bekommen bildet eine besonders groĂe Herausforderung.â resĂŒmieren die Studierenden nach dem GesprĂ€ch mit Thomas.
Im Inneren des Produktionshauses holte Thomas schnell einen Fisch heraus. Auf den Gesichtern der Studierenden und Dozenten standen Erstaunen und Neugierde. Schnell Ă€nderte sich der Ausdruck von neugierig zu besorgt. Der Fisch, wie er so in der Luft gehalten wurde, tat allen leid. Aber warum stört es uns nicht, wenn wir an dem sauberen, blutleeren und in Plastik verpackten Fischfilet oder den beliebten FischstĂ€bchen im Supermarkt vorbeigehen? (Der bĂ€rtige Marx wĂŒrde sagen: Puff, das ist die Entfremdung in der kapitalistischen Produktion!).
Thomas hat seinen eigenen Umgang damit. âMan darf den Tieren keine Namen gebenâ, sagte er auf Nachfrage der Studierenden, wie er weniger Beziehung zu den Tieren aufbauen wĂŒrde. Aber spĂ€ter sagte er immer wieder "schöner Fisch", als wir um die Halterungsanlagen spazierten.
Beim Spazieren um die Halterungsanlagen hob sich die allgemeine Stimmung, als wir die prÀchtigen Störe schwimmen sahen. Gerade waren wir dabei die beeindruckenden Fische zu bewundern, erfuhren wir von ihrem Leben in der Kaviarindustrie.
Von der Tagesexkursion und unserem Kurs erfuhren wir mehr zu den Mensch-Umwelt Beziehungen und ihren Dynamiken in globalen Prozessen: Der Kormoran, eine geschĂŒtzte Art, frisst die kleineren Fische aus der SĂŒĂwasserfischerei. Erst ab einem Gewicht von ca. 500g sind sie vor ihm sicher. Infolgedessen mĂŒssen Betriebe wie der in Torgau Fische dieser GröĂe aus Polen kaufen und ziehen sie dann zur âessbarenâ GröĂe heran. Unter welchen Bedingungen die Aufzucht von Klein auf dort gelingt - diese Frage blieb offen.. Auch der Klimawandel ist nicht hilfreich. Er lĂ€sst einige Teiche austrocknen und fördert das Wachstum von Algen. Die Seefischindustrie mit ihrer groĂen Lobby ist in der Lage, Lachs aus groĂer Entfernung zu einem Preis zu verkaufen, mit dem die lokale Fischerei nicht konkurrieren kann.
Wir danken Thomas fĂŒr seine GroĂzĂŒgigkeit, mit der er sein Wissen und seine Zeit mit uns teilte. Wir danken auch Jan Schöne vom NABU, der uns seine TĂ€tigkeit vorstellte und mit Thomas diskutierte, wie nachhaltiges und soziales Wirtschaften mit seiner vielfĂ€ltigen Natur und Geschichte möglich ist.
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