Beiträge der Konferenz

Beiträge der Konferenz

Jane Addams und die Hull-House Maps & Papers – eine wissenskulturelle Lesart

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Jane Addams

M. Halatcheva-Trapp & A. Poferl, Dortmund, Germany

Jane Addams – Sozialforscherin, sozialpolitische Aktivistin und Nobelpreisträgerin für Frieden – gehört zu denjenigen „Frauen in der Soziologie“ (Honegger/Wobbe 1998), die heute nur sel-ten in die fachgeschichtliche Erinnerung gerufen werden. Obwohl Addams‘ forscherische und sozialpolitische Aktivitäten das akademische und öffentliche Leben im damaligen Chicago er-heblich mitprägten, ist ihr Werk im Schatten der „Men of the Chicago School“ (Deegan 1988) geblieben.
Unser Beitrag will Jane Addams als eine Klassikerin der interpretativen Sozialforschung wür-digen. Er ist zum einen soziologiegeschichtlich, zum anderen wissenssoziologisch ausgerichtet: Wir diskutieren die Bedeutung von Hull-House Maps & Papers zur Herausbildung des Inter-pretativen Paradigmas. Darüber hinaus fragen wir mit Rückgriff auf den neueren Ansatz der Soziologischen Wissenskulturen (Poferl/Keller 2018) danach, welche spezifischen Arten und Weisen der Produktion und Legitimation von soziologischem Wissen an den Hull-House Maps & Papers sichtbar werden und wie gesellschaftliche Ungleichheiten – hier qua Geschlecht und institutionellem Kontext – daran beteiligt sind.


The “forgotten” sociologist, Florence Kelley

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Florence Kelley

G. Cersosimo & L. Landolfi, Salerno, Italy

Florence Kelley, whose theoretical and empirical activity played a central role in the development of social analysis, started promoting social research in the US in the early 1890s, with a critique of the capitalistic organisation of labour and the exploitation of children and women in the factories and sweatshops of Illinois.  This research was also decisive in the contemporary development and use of qualitative and quantitative methods (Cersosimo, 2019; 2021). Poverty, a central element in Kelley’s observations, was to her mind, the fruit of the total subordination to work of workers, their families and their communities. Her theoretical knowledge, based on her American studies, her pragmatism and the Hull-House women’s practice of democracy, was enriched by her history, economics and law studies in European universities and her relationship with the socialist tradition, with Marx and with Engels, whose The Condition of the Working Class in England she translated into English in 1887.

The construction of an American sociological canon erased Kelley’s activity and that of many other women, authors of important research, excluded by a slew of anti-women behaviours and critical silences about their lack of scientificity. But History is blotted out by a highly focused present as Anselm Strauss is said to have stated (1993, p.256), a contradictory present in which the idea of a vocation on the part of women to transform research is becoming ever more central: I am seeking an end to androcentrism, not to systematic inquiry (Harding, 1986, p.10). Reflection on Florence Kelley’s personal journey re-opens debates and questions as to the reasons why in the last century, in the 1990s, there began a process of reappropriation of women’s contribution to the history of sociological thought and social research, which necessarily leads to their founding presence in training curricula and sociological tradition thus restoring contents, dignity and memory.


Hilda Weiss: Sozialforschung zwischen theoretischer Analyse und politischer Erfahrung

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

E. A. Steinhauer, London, UK

Die Frankfurter Schule zählt zu den bedeutendsten soziologischen Impulsgeberinnen des 20. Jahrhunderts. Während bedeutende männliche Figuren wie Adorno oder Habermas heutzutage über die Grenzen der Wissenschaft bekannt sind, ist die Rolle weiblicher ‘Mitglieder’ jedoch wenig erforscht. Dies liegt nicht zuletzt an den sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beständig haltenden, männlich determinierten Vorstellungen von intellektueller und soziologischer (Forschungs-)arbeit, wie an der kontextgeprägten Entwicklung der Frankfurt Schule und des Instituts für Sozialforschung im Exil und im transatlantischen Kräftefeld der Nachkriegszeit. Dennoch gibt es bedeutende weibliche Forscherinnen, deren Beiträge die Sozialforschung signifikant geformt haben. Neben Else Frenkel-Brunswick, Marie Jahoda oder Herta Herzog gehört Hilda Weiss zu jenen, deren Leben und Werk bedeutende, aber mittlerweile wenig beachtete Impulse in der Geschichte der Soziologie gesetzt haben. Weiss soll daher exemplarisch im Zentrum meines vorgeschlagenen Beitrags stehen. Ihre intellektuelle Biographie zeichnet sich aus durch ein politisch geprägtes Leben und die sich gegenseitig bestimmenden Pole von politischem Aktivismus, theoretischer Arbeit und angewandter Sozialforschung. So ist ihre Zeit als Fabrikarbeiterin und Gewerkschaftlerin in Jena untrennbar von ihrem späteren Beitrag zu Erich Fromms Pionierstudie über „Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reichs“ (1929/31). Diese Arbeit war wiederum beeinflusst durch ihr Studium theoretischer Schriften über die Formen der Sozial- und Fragebogenforschung des 19. Jahrhunderts; hier sind ihre Studien über Marx‘ „Enquête Ouvrière“ herauszustellen. Ziel des Vortrags ist es, Weiss‘ Rolle als Soziologin zu beleuchten, und vor allem die innovativ verwobenen Forschungsebenen neben den biographischen Entwicklungen zu zentrieren. Hierbei wird besonderes Gewicht gelegt auf ihre Leistungen in der Etablierung einer qualitative und empirische Elemente zusammenbringenden Sozialforschung, sowie auf ihre herausragende Stellung als eine der wenigen der Frankfurter Schule nahestehenden Intellektuellen, die akademische Forschungsarbeit und politische Agitation erfolgreich vereinbaren konnten. Neben und durch Weiss‘ Rehabilitierung als wichtiger unabhängiger Intellektuellen wird außerdem die breiter gefasste Bedeutung von Archivierung, Protegé-Mentor-Verhältnis und Co- Autorschaft beleuchtet, um schließlich einen Beitrag zum Verständnis des Verhältnis von geschlechterspezifischer Wirkung gegenüber Erinnerung in der Sozialwissenschaft zu leisten.

 


Gertrud Dyhrenfurth (1862-1949) – Eine Pionierin der empirischen Sozialforschung

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

M. Keller, Frankfurt, Germany

Der Beitrag will an Gertrud Dyhrenfurth, eine in Vergessenheit geratene Pionierin der empirischen Sozialforschung, erinnern. Sie hat ab Mitte der 1890er-Jahre in Deutschland aufwendige und innovative empirische Untersuchungen zu Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in der Heimarbeit und Frauen in der Landwirtschaft durchgeführt. Dies ist schon deshalb bemerkenswert, weil sie Autodidaktin war, denn als Frau war ihr damals der Zugang zum Hochschulstudium noch verwehrt. Dyhrenfurths Studien erregten die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Kreise und wurden in den wichtigsten Fachzeitschriften besprochen. Sie war eine der Frauen, auf die sich der Nationalökonom Heinrich Herkner in seiner bekannten Antrittsvorlesung 1898 an der Universität in Zürich, die er dem Thema „Das Frauenstudium der Nationalökonomie“ widmete, mehrfach positiv bezogen hat. Für Herkner gehörten Dyhrenfurths Studien zu den Arbeiten, die das Fach bereicherten und deshalb aus dem Kanon nicht mehr wegzudenken waren. Die Anerkennung der zeitgenössischen wissenschaftlichen Kreise zeigt sich auch darin, dass Dyhrenfurth zu den wenigen Frauen gehörte, die in die neu gegründete Gesellschaft für Soziologie als reguläres Mitglied aufgenommen wurden. Sie wurde außerdem 1921 mit dem Ehrenddoktortitel der Universität Tübingen ausgezeichnet.
Der Beitrag vermittelt einen Einblick in das Werk dieser frühen Sozialforscherin. Er beleuchtet zum einen die Rahmenbedingungen und Faktoren, die Autodidaktinnen wie Dyhrenfurth damals eine Beteiligung an der Wissenschaft ermöglichten sowie in welchen Kontexten und unter welchen Einflüssen ihre Studien entstanden. Zum anderen untersucht er, wieso Dyhrenfurth wieder in Vergessenheit geriet und aus dem Gedächtnis der Sozialwissenschaften verschwand.


The value of the concept of the Traveller by Harriet Martineau in history and future of social research?

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Harriet Martineau

E. Smolenaars, Amsterdam, Netherlands

In the 1830s Harriet Martineau constructed an early, interesting framework for social research. In her popular pre-disciplinary sociological work How to observe Morals and Manners (1838), British writer Martineau presented her search for social facts which can be seen as one of the earliest methodology-frameworks for studying social reality. Different scholars have since, in persistent ways, re-introduced Martineaus works. Sociologist Martin Seymour Lipset labelled her a 'sophisticated analyst', adding she remained in 'the obscurity of nineteenth-century editions'.

This paper explores the question whether it may be possible to give Martineau's pre-disciplinary work a place in the history of science and in current theoretical thinking. The focus is on one interesting, promising concept: the Traveller being the researcher. By using this concept, Martineau opens communication to her 19th century readers. However, more important are the implications of her moral requisites in How to observe Morals and Manners: Key-statement is that there is no difference between 'ordinary' people and readers, between travellers and the scientist. This is to be understood in relation to the 19th century context in which the scientist is not an institutionalised person, but a moral traveller who, as her list of required research skills shows, can train herself to make better observations.

After providing a summary of Martineau's concept of the 'research(er)-as-travel(ler)', her key-statements will be exploratory evaluated in relation to: firstly the history of science and scientists, in particular the Humanities (Bod 2013) and to Martineaus intellectual network (Hobday 2017; Arbuckle 2019 - 2021) and secondly to Margaret Archers work on Agency (2017). The concluding page of the paper refers to the future and the EU Research Agenda 'Horizon Europa' to which co-creation and dialogic sociology are central elements (Ramis-Salas, Soler-Gallart, Torras-Gomez2022).

In this way the paper hopes to contribute to the question and issues posed in the Conference Frauen in der Soziologiegeschichte on 'welche (Rahmen-)Bedingungen und Verhaltensweisen gegeben sein müssen um Marginalisierung der Arbeit' – in diesem Fall am Beispiel von Harriet Martineau - 'zu verhindern.'


Mary Wollstonecraft at the origins of sociological thought

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Mary Wollstonecraft

M. Gammaitoni, Rome, Italy

Mary Wollstonecraft should fully enter the history of the forerunners of sociology, like her contemporary J.-J. Rousseau, because in the first place she is the one who in 1700 clarified and criticized the social dynamics that influenced the lack of an egalitarian education between men and women, precluding the latter from being able to exercise rational thought and free action in space and in their own time. In addition to dedicating herself to the publication and dissemination of a treatise on women's rights, Wollstonecraft was also a careful observer of English daily life and the French Revolution.Wollstonecraft criticized in an open debate the positions of Edmund Burke, James Fordyce, Jean Jaques Rousseau, John Gregory, for political issues but also for their denial of women's right to free education, of the need for a public and equal school , with mixed classes.His critical thinking responds to all levels of contemporary sociological analysis: the direct and structured observation of some social phenomena, the description and interpretation of facts and social relations, criticism, the ability to predict their evolution and to propose solutions to the problems that have emerged.It is a fact that the history of sociology is a male story, when instead, many female scholars emerge and propose original visions of social action.


Die erste Soziologin Harriet Martineau (1802-1876): ein historisches Beispiel für die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz der Soziologie

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Harriet Martineau

N. Jakoby, Zürich, Suisse

Die Anfänge der Soziologie sind weiblich, auch wenn uns Lehrbücher und der akademische Kanon etwas anderes vermitteln. Harriet Martineau (1802-1876) ist die erste Soziologin und beine Pionierin der empirischen Sozialforschung. Im deutschsprachigen Raum wurde ihre besondere Rolle für die frühe Soziologie jedoch vollständig ignoriert. Bereits im Jahr 1838 hat Martineau auf die Notwendigkeit einer eigenständigen Wissenschaft der Gesellschaft hingewiesen. Sie bezeichnete diese neue Wissenschaft als science of society bzw. science of morals und forderte selbstbewusst ihre Identität und Anerkennung als Fachdisziplin. Im Vordergrund des Vortrages stehen ihre Werke Society in America (1837) und How to observe Morals and Manners (1838), die als Klassiker der Soziologie zu bezeichnen sind. How to observe Morals und Manners (1838) ist das erste Methodenbuch der Soziologie, das knapp fünfzig Jahre vor Durkheims Les Règles de la Methode Sociologique erschienen ist. Martineaus Methodologie kennzeichnet die Konzeption einer empirischen Soziologie, Forschungsinstrumente wie begriffliche Klassifikationen und Typologien, die zur Entdeckung sozialer Regelmäßigkeiten führen, sowie eine komparative Soziologie, denn für Martineau erschließt sich das Verständnis einer Gesellschaft nur über Vergleiche mit anderen Gesellschaften.
Die Gründe, Harriet Martineau und ihr Werk vorzustellen, liegen zum einen darin, Soziolog*innen ein vollständiges Bild der europäischen Soziologie und deren Institutionalisierung aufzuzeigen. Dies bedeutet, dass ihre Ursprünge auf eine längere Tradition zurückzuführen sind als bisher in der deutschsprachigen Soziologie selbst wahrgenommen und vermittelt wurde. So zeigen bisherige Erfahrungen die besondere Schwierigkeit, Martineau als erste Soziologin unter den „Etablierten“ des Faches zu positionieren und eine andere Geschichte der Soziologie zu beschreiben – jenseits der omnipräsenten Klassiker. Eine Besinnung auf Martineau als Klassikerin der Soziologie bedeutet zum anderen, eine bis heute moderne Konzeption wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns vermittelt zu bekommen, welche sich an dem Realitätsbezug ihrer Ergebnisse für den untersuchten Tatbestand bemisst und damit verdeutlicht, worin die Stärken einer Soziologie zur Analyse gesellschaftlicher Fragestellungen und Probleme seit jeher liegen.

 


Forgotten memories: women sociologists

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

R. A. Tirkey, Delhi, India

The discipline of sociology owes a significant debt to women sociologists. In recent times, several books and commentaries have highlighted the labour market participation of women, women's unpaid care work, and the education of girls and women. Due credit goes to the popular Women's Movement, including the strengthened voices in academic spaces that continue to challenge the status quo. Within this overarching discipline of sociology, an underlying need to bring women sociologists to the nucleus of social sciences, rather than pushing them to the margins. However, at this point in time, Marx, Weber, Durkheim and the likes continue to dominate the space of classical theory in Sociology. Many have argued to the urgency to place gender at the centre of sociological inquiry. Several ground-breaking works by female figures such as Harriet Martineau, Pearl Jephcott, Charlotte Perkins, and Ida B. Wells have either been forgotten or neglected within sociology. For that matter, should sociological discussions around women be organised within earmarked syllabi on women in society? Or rather, are we then sinking into sociological amnesia of ignoring/forgetting/neglecting contributions from eminent women sociologists? As pointed out in several journals, men have written the history of sociology- do we need to strengthen our voices all the more and gear towards re-writing the history of sociology? To this end, the intended paper will attempt to discuss the contributions of Irawati Karve (1905-1970), who is regarded as the first Indian woman sociologist. It will mainly look at the syllabi of Sociology courses in India and analyse the 'space' they have been given in the graduate theory curriculum. It will further understand the significant work of Karve towards the development of sociology in India.


Women and LGTBQ+ communities out of history: the construction of modern Western knowledge

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

E. Grassi, Rome, Italy

Knowledge represents the highest form of power: you can choose to increase it, spread it, lock it in or erase it. In the process of emancipation of Western societies, a peculiar and evident element is the lack of inclusiveness in the texts and in the scholastic path of female personalities and those belonging to the LGBTQ + community, implementing a real path of exclusion that, even today, unites these groups in the battle for the vindication of their rights through an intersectional vision of the person. The intent of this theoretical proposal is to follow the historiographical path of the communities indicated in order to better understand the coercion devices implemented to hinder the representativeness of gender, orientation and identity, focusing attention on the socio-political micro-mutations of the advanced techno-capitalism. From the eighteenth century to the present day, the historical events that led to the cultural gag of these figures will be analyzed.


No woman left behind: a sociological analysis

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

K. S. Johnson, Florida, USA

At the core of education lies inequalities, this is a systemic issue around the country and throughout the world, therefore, the struggle within the discipline is far from over. Far too often, individual injustices are spoken about when the issues that plague us today reach far beyond one act. For that reason, it is important to notice the tree and its roots, and not just  a few bad apples. To critically examine the social forces that have attempted to cast a shadow over contributors to the field of sociology and examine why this has occurred, it is worthy to provide brief historical context.

Looking back just a century ago, non-White children and non-White young adults were learning in their own schools at one time (Irons 2004; Hilberg 2020; Suchor 2020; Menkart and View 2021). Those schools, were being raided, burned down (Moss 2009; Scribner 2020). Non-White children and non-White young adults were shunned from predominantly white institutions or PWIs (Moreno 2020). This is a formula for a rock and a hard place. By the sheer fact that case after case went to trial, either at the state level or federal level, makes it clear that non-White students were being discriminated against (Wallenstein 2020; United States Courts n.d.). This issue was impacting children and adults alike (Clayton and Peters 2019; Library of Congress n.d.; Wallenstein 2020). Looking at this through another lens, non-White people were prohibited from buses, trains, bathrooms, restaurants, so this issue does not discriminate the sphere of education.

A brief look at history was provided, in a more general sense, to setup the argument that the belittling of non-White voices is neither siloed to sociology nor to education itself. Additionally, looking back at these events highlights the route I wish to take in this manuscript—to explore the history of sociology by first discussing the educational structure, and to analyze the processes of discrimination as I approach why certain people have been excluded from the discipline. There are narratives that attribute sociology, sociological theory and methodology to a White, male, colonial hegemony. Narratives like this imply that there are only certain knowledge producers.


Frieda Wunderlich: Feminist research and activism in Berlin

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Frieda Wunderlich

L.-Z. Golesorkhi, Portland, Oregon; E. Freeberg, New York & G. L. Walker, New York, USA

In this paper, we map Frieda Wunderlich’s (1884-1963) idiosyncratic career and recover the overlooked contributions of some of the individual women who shaped discourse and practice on social protections at the time (Weimar Republic). As a scholar and practitioner, Wunderlich addressed the relationship between economy and society, particularly in regards to decent labor conditions. Our research explores two elements of Wunderlich’s work in this context, namely her efforts to introduce academic social research into the public policy realm while simultaneously co-creating and participating in ‘spaces’ established by and for “new women” who pursued educational reform, trained for new social policy practices, and entered politics.

We consider the two noted and interrelated elements in Wunderlich’s work by attending to three arenas where Wunderlich made her mark: German Association of Female Civil Servants of Welfare (1919 - 1933), German Democratic Party (1925-1933), and German Academy for Women's Social and Educational Work (1925 - 1933). In our exploration of Wunderlich’s scholarship and policy practice within these arenas, we situate her contributions alongside other individual women, including - but not limited to - Dorothea Hirschfeld, Hedwig Wachenheim, Cora Berliner, Gertrud Bäumer, Helene Lange, Marianne Weber, Hanna Meuter, Alice Salomon, and Hilde Lion. Through recovering and bringing into conversation the writings and practices of these “new women”, we find that theory and praxis concurrently informed Wunderlich’s career as it did for many of the women around her.


Die „ersten Soziologinnen“: Soziologinnen im Kreis um Karl Mannheim am Beispiel von Viola Klein

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Viola Klein

O. Neun, Kassel, Germany

Zur ersten Generation von Soziologinnen zählen die „ersten Soziologinnen in Frankfurt“ im Kreis um Karl Mannheim (Honegger 1994; Wobbe 1997, S. 20). In dieser Gruppe befand sich eine für damalige Zeit ungewöhnlich hohe Zahl an Studentinnen wie Gisèle Freund, Nina Rubinstein, Margarete Freudenthal, Frieda Haussig, Käthe Truhel, Toni Oelsner, die Schwestern Evelyn Anderson und Ilse Ziegellaub oder Natalie Halperin. (vgl. Honegger 1989; 1993: 185-190; Kettler/Meja 1993; Kettler et al. 2008; Ilieva 2010: 127-135). Auch in der englischen Emigration seit 1933 hat Mannheim Schülerinnen wie Viola Klein, Helene Rosenau oder Jean Floud. Warum die Soziologie Mannheims für viele Frauen interessant war, erklärt Claudia Honegger (1994) damit, dass sich Mannheim auch für ihre sozio-kulturelle Situation interessierte (vgl. auch Kettler/Meja 1993) So konnten sie Dissertationsthemen wählen, die mit ihren eigenen Interessen, Erfahrungen und Lebenswelten eng zusammen hingen (Honegger 1994: 75).

Sie behandeln darin z.B. Fragen der Generationsoziologie (Lütkens), der Ideengeschichte (Brünauer), der Intellektuellensoziologie (Halperin, Lütkens), der Wirtschaftssoziologie (Freudenthal, Lütkens), der Geschlechtersoziologie (Klein, Rosenau, Lütkens, Halperin), der Kultur-, Kunst- und Literatursoziologie (Halperin, Klein, Freund), der Soziologie der Soziologie (Viola Klein), der Bildungssoziologie (Lütkens), der Emigrationssoziologie (Nina Rubinstein), der Bürokratieforschung bzw. Sozialpsychologie (Truhel) oder der Soziologie des Judentums (Toni Oelsner).

Diese von Mannheim betreuten Doktorarbeiten sind aber wenig bekannt, wobei verschiedene Faktoren zu dieser geringen Wirkung beitragen. Er selbst kann in Frankfurt bis zu seiner Beurlaubung am 14. April 1933 und seiner darauf folgenden Emigration nach England nur zwei der Arbeiten zu Ende betreuen. Sie können daher erst zum großen Teil danach veröffentlicht werden, weshalb die Referenzen auf Mannheim wegen der politischen Zwänge minimiert oder ganz gestrichen werden müssen. Ein weiterer Grund dafür ist, dass sie, wie die Dissertation von Frieda Elisabeth Haussig (1934), wegen finanzieller Probleme nur ausschnittweise gedruckt werden können. Auch sind die Arbeiten noch nicht bei allen schon so weit fortgeschritten, dass sie vor der Emigration noch abgeschlossen werden können, z.B. Ilse Seglows Studie zu Schauspielerinnen. Zur geringen Wirkung der englischen Promotionen in Deutschland trägt bei, dass sie, wie die Arbeiten von Klein oder Rosenau, nur auf Englisch veröffentlicht wurden. Der frühe Tod Mannheims 1947 ist ein weiterer Grund für den geringen Einfluss seines Kreises, da er seine Schülerinnen dadurch nicht mehr unterstützen kann. Sie müssen daher zum großen Teil entweder die akademische Laufbahn aufgeben oder können sich wie Klein erst spät akademisch etablieren. Durch die erzwungene Emigration aus Deutschland kommt es damit weitestgehend zu einem Abbruch dieser Tradition (Moebius 2022).

Teilweise erfolgen zwar in den 1960, 1970er und 1980er Jahren Neuauflagen der Werke etwa der Dissertation von Gisèle Freund (1968), die als erste soziologische Arbeit zur Photographie gelobt wird, von Sallis-Freudenthal (1986) oder von Klein (1971), nicht wieder aufgelegt bzw. übersetzt wurden jedoch u.a. die Arbeiten von Halperin, Truhel, Haussig, Brünauer, Rosenau und Lütkens.

Sie sind aber von Interesse, weil sie sich darin schon mit der eigenen Geschlechterrolle beschäftigen, etwa in den Promotionen von Käthe Truhel, Nathalie Halperin und Margarethe Freudenthal (Kettler et al. 2008, S. 114f.). Am wichtigsten dafür ist Viola Kleins (1946) Werk „The Feminine Character“, in Deutschland ist Klein jedoch, wenn überhaupt, eher als Mitautorin des auch auf Deutsch erschienenen Werkes „Die Doppelrolle der Frau“ bekannt (Myrdal/Klein 1956; Gerhard 2010, S. 48) Sie geht aber in „The Feminine Character“, anknüpfend an wissenssoziologische Überlegungen Mannheims auf den Wandel des Bildes der Frau in der Wissenschaft ein und vergleicht zudem die Rolle der Frauen mit anderen Gruppen in marginalen Positionen, womit sie Ideen der Intersektionalität andeutet (Tarrant 2006, S. 152f.; Kettler/Meja 1993). Theoretisch verwendet sie zur Beschreibung von Machtverhältnissen den „Ideologie“-Begriff und die Idee des „cultural lag“, d.h. dass das Bild der gesellschaftlichen Rolle von Frauen den realen Entwicklungen nur verzögert folgt und daher „ideologischen“ Charakter annimmt.

Grundsätzlich werden bisher aber in der englischsprachigen Literatur Kleins deutschsprachigen Texte wie ihre unveröffentlichte literaturwissenschaftliche Doktorarbeit zu Celine, ihre spätere wissenssoziologische Beschreibung der Entwicklung der englischen Soziologie oder ihre deutschen Artikel in der „Welt am Sonntag“ nicht behandelt (Klein 1967; Lyon 2007, S. 154).

Basierend auf Archivmaterial aus Viola Kleins Nachlass in Reading und dem Archiv der „London School of Economics“ sollen daher in dem Vortrag, neben einem Überblick über die genannten Soziologinnen im Umfeld Mannheims, die Arbeiten Kleins als wichtiges Fallbeispiel für diese vorgestellt und damit eine bisher wenig beachtete Tradition der Soziologie aufgegriffen werden.

 


On the importance of works of classical women social scientists: the example of Herta Herzog

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Herta Herzog

I. Gjergji, Coimbra, Portugal

Herta Herzog’s oeuvre is inscribed in the History of Sociology of Communication, not only as a research model, a theoretical and methodological turning point of an entire discipline, but also for having formulated some fundamental questions concerning psychological motivations’ relevance in audience behaviour (Klaus and Seethaler 2016). She was the founder of the sociology of radio and reception studies (1930); invented the focus group (now widely considered Merton’s discovery) and promoted the use of psychoanalytic tools in qualitative research; was the first scholar to study serials (as a specific genre) and focused her attention on the female audience, the most neglected in sociology at that time. Despite this major contribution, Herzog’s intellectual path inside sociology was interrupted by the academic ostracism, ungendered by predatory and male chauvinist attitudes which obscured her merits and eventually drove her out of the university. It is now quite unusual to find Herzog’s name in sociology textbooks. And yet, reading Herzog’s writings today could be very useful for social and media scholars. To fully comprehend the relationship between text and context in communication processes as well as the media’s role in shaping subjects’ identities it is pivotal to turn to Herzog’s insightful research.

This presentation of the forgotten Herzog and her scientific relevance today is rooted in the assumption that unearthing women’s sociological thought not only helps rewrite the history of sociology and enrich the scientific debate; it can also provide a particular gratification to women sociologists by relieving their ‘pain’ at thinking of themselves as ‘motherless’, i.e. being inside a scientific universe shaped by only ‘fathers’, where traces of feminine are systematically removed (Lengermann, Niebrugge 1998). This awareness of (scientific) mothers’ existence would undoubtedly prevent them suffering from elemental anguish of abandonment, and yet – as Melanie Klein (1948) explains – it would also forge the conditions to perpetrate the necessary (metaphorical) matricide, that is the founding act of the subjectivation process, the condicio sine qua non for having access to the symbol (Kristeva 2000). Thus, a newly rewritten history of sociology appears to be the only way to build grounds for real women sociologists’ emancipation, liberated from fathers’ power, but also freed from mothers’ loss anxiety.


Wissenssoziologische Grundlagen von Dorothy E. Smiths feministischer „Sociology for People“

Dorothy E. Smith

B. Hönig, Graz, Austria

Die kürzlich verstorbene Dorothy Edith Smith (1926–2022) zählt zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Soziologinnen. Smiths Werk wurde vor allem im anglophonen Sprachraum breit rezipiert, im deutschsprachigen Raum hingegen von der Soziologie weniger zur Kenntnis genommen wurde als von der interdisziplinären Geschlechterforschung. In letzterer wurde Smiths Ansatz vor allem durch die Interpretation der Wissenschaftsphilosophin Sandra Harding als „feministische Standpunkttheorie“ bekannt. Zu kritisieren ist, daß Harding dabei die Kategorien eines wissenschaftstheoretischen Diskurses dem Smithschen Ansatz überstülpte, ohne Smiths starke Verwurzelung in der viel älteren wissenssoziologischen Diskussion überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Dass Smith die Kenntnis dieser innersoziologischen Diskussion in ihrem Werk jedoch weitgehend voraussetzte, anstatt ihre disziplinären Wurzeln systematisch zu rekonstruieren, trug dazu bei, dass sich Hardings verkürzte Interpretation in der Geschlechterforschung letztlich durchsetzte. Der vorliegende Beitrag beabsichtigt diese verkürzte Interpretation dadurch zu korrigieren, dass er die wissenssoziologischen Grundlagen von Smiths umfangreichem Werk erneut ins Gedächtnis ruft.
Zunächst werden in einer soziohistorischen Einführung Stationen von Smiths bemerkenswerter wissenschaftlicher Karriere rekonstruiert, die sie von der London School of Economics (1951–1955) über die University of California at Berkeley (1955–1966) nach Kanada an die Universitäten in Vancouver (1968–1977) und Toronto (1977–2000) führte. Entgegen der verbreiteten Smith-Rezeption Hardings werden daraufhin die kognitiven Grundlagen von Smiths „Sociology for People“ im Marxismus, der deutschen Wissenssoziologie, der phänomenologischen Soziologie und der Ethnomethodologie herausgearbeitet. Erst die Kenntnis dieser unterschiedlichen wissenssoziologischen Traditionen, so die These des vorliegenden Beitrags, vermag den hohen Innovationsgehalt ihres Ansatzes einer genuin wissenssoziologischen feministischen Kritik an der Disziplin vollumfänglich zu würdigen.


Denken der Demokratie in Kontroversen: Die Medizinsoziologin und Soziologiehistorikerin Uta Gerhardt

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

C. Schlembach, Wien, Austria

Der Beitrag rückt die Soziologie Uta Gerhardts ins Zentrum und stützt sich dabei auf persönliche Erinnerungen an (meist telefonisch geführte) Gespräche, Korrespondenzen und Werkinterpretationen. Gerhardt entwickelte in der Auseinandersetzung mit der geisteswissenschaftlichen Soziologie (Simmel, Weber, Schütz, Parsons) ein methodologisch begründetes, empirisches und theoretisches Sozialdenken, das um seine historische Gebundenheit weiß, das aber auch Kontroversen und Konflikte auslöste. Dabei sind Gerhardts Biographie und Arbeit nicht nur Teil der Soziologiegeschichte. Sie hat auch selbst soziologiegeschichtlich gearbeitet und sich dabei auf werkgetreue und textgenaue Interpretationen gestützt. Die von Gerhardt adressierten Kontroversen betreffen sowohl die theoretische als auch die methodische Grundlegung der (deutschen) Soziologie der Nachkriegszeit. Damit geht ihre Karriere über die Tatsache hinaus, dass sie sich als Frau in einem männlich dominierten universitären Umfeld behaupten musste. Der Beitrag will Gerhardts Sozialdenken entlang von drei zusammenhängenden Entwicklungslinien diskutieren:

Erstens wurde durch Berger und Luckmann die Interpretation von Schütz als Wissenssoziologen dominant und zugleich wurde Schütz als Alternative zu Parsons breit rezipiert, dessen Systemdenken die ‚disobedient generation‘ ablehnte. Luckmanns These, dass es sich bei den frühen Arbeiten von Schütz um Protosoziologie handle, stellte sie die Rolle des Idealtypus entgegen, den Berger und Luckmann zur Typisierung verflachten und durch Ansätze der philosophischen Anthropologie (Gehlen, Plessner) seiner methodologischen Bedeutung beraubten. Dem gegenüber zeigte sie, wie Schütz schon im Sinnhaften Aufbau die Struktur sozialen Handelns in der modernen Gesellschaft aufwies und auch im amerikanischen Exil an der von Weber eröffneten Perspektive idealtypisch begründeter Soziologie festhielt.

Zweitens war mit der Rekonstruktion der Rolle des Idealtypus für die Grundlegung der Soziologie ein empirisches Forschungsprogramm verbunden, das Gerhardt in ihren medizinsoziologischen Arbeiten in London und später in Heidelberg entwickelte. Qualitative bzw. interpretative Forschung wie sie durch die Grounded Theorie (Glaser, Strauss), die Objektive Hermeneutik (Overmann) und das Narrative Interview (Schütze) maßgeblich geprägt wurde, erschien ihr methodologisch unzureichend begründet. In ihren Arbeiten zu Bypass-Patienten setzte sie sich kritisch mit diesen Ansätzen auseinander und griff schließlich auf den Idealtypus von Weber (und Schütz) zurück. Da weder Weber noch Schütz im Sinne empirischer Sozialforschung mit Idealtypen gearbeitet hatten, musste sie den Gedanken erst zu einer empirischen Forschungsmethode weiterentwickeln und konnte zeigen, wie der Idealtypus sowohl das methodische Vorgehen als auch die theoretische Konzeption verstehender Soziologie leitet. In ihrer empirischen Forschung wies sie die Handlungsrationalität von Individuen nach, die mit der Indikation einer koronaren Bypass-Operation konfrontiert waren und auf dieser Basis im Rehabilitationsverlauf biographische Entscheidungen (Berufsrückkehr, Frühberentung) treffen mussten.

Mit dem Treffen gesundheitsbezogener Entscheidungen im Kontext ärztlicher Behandlung war ein Thema der Medizinsoziologie von Talcott Parsons angesprochen: Medizinische Praxis in Form professioneller Interaktion institutionalisierte nicht nur eine zur ökonomischen Rationalität alternative rationale Wertstruktur in der Gesellschaft. Sondern mit der Rolle professionellen Handelns waren politische Implikationen zur Verteidigung der Demokratie in den USA und zur Wiederherstellung der Demokratie in Deutschland nach 1945 verbunden.

Der Zusammenhang von Soziologie und Demokratie wurde in Gerhardts späten soziologiegeschichtlichen Arbeiten zusehends wichtiger, insbesondere in der Auseinandersetzung mit Parsons Blick auf Demokratie und Diktatur und ihre Analyse mittels einer doppelten Struktur sozialen Handelns (Integration vs. Anomie), die sich bis in dessen Spätwerk durchhält. An Parsons intellektueller Biographie konnte Sie anhand von Archivmaterial und in genauen Werkrekonstruktionen zeigen, wie eng Parsons soziologisches Denken mit der Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts – der Entwicklung der Demokratie und ihren Krisen genauso wie der Diktatur – verbunden war und wie sehr er die Soziologie geschichtlich gebunden dachte. Dieser Gedanke wird in Gerhardts Sicht auf die Theorie und die Geschichte der Soziologie thematisch, wenn sie die Entstehung neuer Theorieansätze mit den Brüchen der (vor allem deutschen und US-amerikanischen) Gesellschaftsgeschichte verbunden sieht. Auch in diesem Kontext greift sie auf Parsons Medizinsoziologie zurück und arbeitet beispielsweise die (auch heute hoch relevante) Rolle der Sozialwissenschaften heraus, die im Verbund mit der damaligen ‚politischen Psychiatrie‘ für das amerikanische Besatzungsregime nach 1945 einen Rahmen für gesellschaftliche Transformation lieferte, die den Weg für die Nachkriegsdemokratie der BRD ebnen sollte.


Researching in the Playroom: The Sociological Practice of Pearl Jephcott

Pearl_Jephcott
Pearl Jephcott

J. Goodwin & L. Parsons, Leicester, UK

A key feature of sociological practice is to continually record experiences and observations so as to develop and sustain the ‘sociological imagination’. As Mills (1959) famously instructs, sociologists should ‘start a file’ to capture everything from fringe thoughts to snippets of conversation. The analytical and explanatory potential of such files of notebooks, unpublished materials and personal research ephemera is immense, particularly for any researcher seeking to understand the disciplinary contribution of those who have gone before. Nonetheless these sorts of materials tend to be overlooked and under-utilised. Perhaps, though, it is in these files that the ‘traces’ of previous generations of women sociologists are to be found. There are many women who have been sociological practitioners and who have made an outstanding contribution to the understanding of social life who remain hidden within the minutia of academic historiographies – lost, written-out, diminished, or just simply ignored. One such sociologist is Pearl Jephcott (1900-1980). Her books, including Girls Growing Up (1942), Rising Twenty (1948) Some Young People (1954) Married Women Working (1962), A Troubled Area: Notes on Notting Hill (1964), Time of One’s Own (1967) and Homes in High Flats (1971) represent a considerable stock of forgotten knowledge which retains a contemporary relevance. Jephcott was a researcher in the Millsean mould. A supreme fieldworker who engaged in continuous cycles of reflection and observation, recording, drawing, and note-taking wherever she went. In this paper we examine the journey of ‘rediscovering’ Pearl Jephcott using her research notebooks and recorded thoughts and observations to locate her sociological orientation. We then spotlight one of her least known and unpublished works – The Social Background of Delinquency (1954) – to further examine her innovative approach to research methodology. In particular we will consider one approach Jephcott used in this study which she called the ‘playroom method’. This was a way of doing research with children and examining children’s views about community, locality, and ‘delinquency’. The paper will conclude with a brief reflection on the value of returning to past sociological studies and retracing the steps of previous generations of women sociologists through non-standard means. (345)


Vom Alleinautor zum gemischten Doppel? Geschlecht, Status und Sichtbarkeit in der Publikationspraxis führender deutscher Soziologiezeitschriften

Collage mit Bildern von Frauen der Soziologiegeschichte

H. Trappe & N. Milewski, Rostock, Germany

Unser Beitrag nimmt die jüngere Soziologiegeschichte in den zurückliegenden 25 Jahren in den Blick. Am Beispiel führender deutscher Soziologiezeitschriften – der Zeitschrift für Soziologie und der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie – analysieren wir deren Publikationspraxis unter Berücksichtigung geschlechtstypischer Entwicklungen seit Mitte der 1990er Jahre bis in die Gegenwart. Hintergrund ist die Veränderung des sozialwissenschaftlichen Publizierens, die parallel zu einer Feminisierung der Sozialwissenschaften stattgefunden hat. In theoretischer Hinsicht beziehen wir uns auf Ansätze zur Erklärung der geschlechtsspezifischen Segregation in Organisationen sowie auf aus der bibliometrischen Forschung stammende Erklärungen einer bislang geringeren Forschungsproduktivität von Frauen. Wir adressieren folgende Fragen: Hat sich die Zunahme des Frauenanteils in den Sozialwissenschaften im zeitlichen Verlauf gleichermaßen in einer erhöhten Teilhabe an Publikationen, an der Begutachtung von Fachaufsätzen und an Herausgeberschaften niedergeschlagen? Inwiefern korrespondiert die Zusammensetzung der Autor*innenschaft nach Geschlecht mit der theoretisch-methodischen und inhaltlichen Ausrichtung von Fachaufsätzen und spiegelt generelle Entwicklungen des Fachs wider? Wie interagieren Geschlecht und akademischer Status in Autor*innenteams miteinander? Sind Frauen als Autor*innen von Fachaufsätzen ebenso sichtbar wie Männer?
Wir rekonstruieren zunächst auf Basis amtlicher Daten die Entwicklung des Frauenanteils an verschiedenen Beschäftigten- und Statusgruppen in den Sozialwissenschaften im Zeitverlauf. Die geschieht mit dem Ziel der Beschreibung der stattgefundenen Entwicklung und der Ableitung eines Referenzmaßstabes für die Beurteilung der Zeitschriftendaten. Der von uns selbst erstellte Datensatz der beiden Zeitschriften umfasst sechs Doppeljahrgänge von 1994/95 bis 2019/20 und enthält Informationen über 566 Fachaufsätze sowie 673 Rezensionen, die von 1608 Autor*innen verfasst wurden. Ergänzt werden diese Daten durch Angaben über 2389 Gutachter*innen und 92 Herausgeber*innen.
Unsere Analysen zeigen unter anderem, dass sich der Frauenanteil an allen Statusgruppen der Sozialwissenschaften deutlich erhöht hat und zum Ende des Beobachtungszeitraums beim hauptberuflichen wissenschaftlichen Personal, den bestandenen Promotionen und den FH-Professuren erstmalig über 50 Prozent beträgt. Trotz erheblicher Fortschritte in der Erhöhung ihrer Sichtbarkeit sind Frauen jedoch noch nicht entsprechend ihrem erwartbaren Anteil als Autorinnen, Gutachterinnen oder Herausgeberinnen der analysierten Soziologiezeitschriften vertreten. Als Autorinnen von Fachaufsätzen haben sie am stärksten aufgeholt, wobei sich Kooperationen mit statushöheren Männern, sowie eine Konzentration auf empirisch-quantitative Studien in den Themenfeldern der Bildungs- und Arbeitsmarktsoziologie und der Frauen- und Geschlechterforschung begünstigend ausgewirkt haben. Bei der Begutachtung von Fachaufsätzen sowie als Rezensentinnen blieben Frauen deutlich unterrepräsentiert. Insgesamt legen unsere Befunde nahe, dass sich die deutsche Soziologie im Wandel hin zu einer geschlechterintegrierten Disziplin befindet, eine paritätische Teilhabe an der Publikationspraxis jedoch noch nicht erreicht ist. Letzteres liegt nicht ausschließlich an der quantitativen Repräsentation von Frauen, sondern auch an
ihrer Segregation in bestimmte Themenfelder und ihren damit verbundenen Möglichkeiten, innerhalb tradierter Machtstrukturen zu agieren.