Bewertung des Bauwerkzustandes

Mit den in Abschnitt "Modellbildung" vorgesehenen Experimenten und den entsprechenden Modellen sollen Konzepte für die Charakterisierung und Bewertung des Baustoffzustandes und der Alterung von Bauwerken entwickelt werden. Dies können wiederum Modellgleichungen sein, mit denen die Qualität bzw. der Qualitätsverlust bei gegebenen Einwirkungen integral erfasst wird. Alternativ hierzu können fallabhängige Diagramme zur Quantifizierung der Alterung oder des Einflusses der Alterung auf die Qualität des Baustoffes entwickelt werden. Aufgrund der Abweichung realer Baustoffeigenschaften von Standardwerten sind statistische Verteilungen der Modellparameter in den Modellgleichungen sowie realistische Zeitreihen zu berücksichtigen. Für die Bewertung der Alterung und des Materialzustandes erscheinen folgende Kenngrößen sinnvoll: „Technische Qualität, Dauerhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Restnutzungsdauer und wirksames Alter“.

Das wirksame Alter skaliert bei jungem Beton den Erhärtungsprozess, um unterschiedliche Bauteiltemperaturen infolge Hydratation, Witterungsbedingungen bzw. Nachbehandlungen berücksichtigen zu können. Für die Karbonatisierung sowie für die Korrosion der Bewehrung sind in Heft 510 [w.42] vergleichbare Ansätze verwirklicht. Das „wirksame Alter“ tW für Baustoff und Tragwerk skaliert hier die während der Nutzung ablaufende Zustandsveränderung auf die fiktiv erreichbare „technische Lebensdauer“ tL. Die technische Lebensdauer kann mit Erhaltungsmaßnahmen vergrößert werden, sodass das wirksame Alter entsprechend reduziert wird. Das Alter ist eine verallgemeinerte Kenngröße, die den momentanen Degradationszustand infolge der verschiedenen Prozesse integral beschreibt.

Dis-2: Dissertationsthemen aus dem Bereich „Bewertung"

Dis-2.1) Entwicklung eines Bewertungskonzeptes für die Alterung von Bauwerken

(Prof. Dinkler, Prof. Kowalsky, Prof. Empelmann)

Stahlbetonbauwerke unterliegen während ihrer Nutzungsdauer unterschiedlichen chemischen und physikalischen Einwirkungen, die den Zustand des Baustoffs dauerhaft verändern können. Die Zustandsänderungen können mit einem Zuverlässigkeitsindex bewertet werden, der eine integrale Bewertung des Baustoffs nach Eurocode 0 zulässt, siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.

Ziel des Projektes ist ein Bewertungskonzept für die Qualitätsentwicklung und die Alterung von Stahlbetonbauwerken unter chemischem Angriff, das exemplarisch für den Fall der gut verstandenen Karbonatisierung und Chloridbindung erprobt werden soll. Der Bewertungsansatz soll die während der Nutzung auftretenden Degradationsprozesse mit dem Idealzustand vergleichen, sodass eine Einstufung der Zustandsentwicklung bezüglich der verschiedenen Ebenen „Baustoff“ und „Tragwerk“ mit Bezug zur Gebrauchstauglichkeit und Tragfähigkeit möglich ist. Er30 gebnis sind gewichtete Kenngrößen, mit denen Qualität und Alterung beschreibbar sind. In einem zweiten Schritt soll die Auswirkung der Degradation auf die Entwicklung anderer Prozesse bewertet werden. Dies betrifft z. B. die Deformation, die Transporteigenschaften und die Korrosion des Bewehrungsstahls. Hier sind die Gradienten der Entwicklung der Materialeigenschaften als Folge der Degradation von Interesse, damit eine Bewertung der Materialentwicklung und deren Einfluss auf das Tragwerksverhalten möglich wird.

Es besteht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, Modelle und Modellparameter ggf. an Materialproben einer für den Rückbau vorgesehenen Spannbetonbrücke in Braunschweig exemplarisch zu validieren.

Dis-2.2) Entwicklung einer Bewertungsmethodik für Modellsensitivitäten, optimale Identifikations-
Experimente

(Prof. Matthies)

Das Forschungsvorhaben ist mit den folgenden Arbeiten abgeschlossen:

  • Ehsam Adeli (Dissertation) - Bayes'sche Parameteridentifikation für ein viskoplastisches Modell.
  • Noemi Friedman (Post-Dok) - Coupling engineering simulations with stochastic analysis for uncertainty quantification and parameter identification.

Dis-2.3) Ermittlung signifikanter Indikatoren für die Alterung von Baustoffen

(Prof. Matthies)

Das Forschungsvorhaben wird nicht weiter verfolgt, da Herr Matthies in den Ruhestand tritt.

Dis-2.4) Unschärfe- und Zuverlässigkeitsanalyse

(Prof. Römer, Prof. Thiele, Prof. Empelmann)

Viele Baustoffe, insbesondere Holz und Beton, sind über mehrere Skalenordnungen hinweg heterogen. Heterogene Werkstoffe sind auf der Mikroskala praktisch immer – außer im Sonderfall periodischer Anordnungen – in einem gewissen Maß von der genauen Konstellation her unbekannt und daher unsicher. Homogenisierungsverfahren, die ein „effektives“ Verhalten auf der makroskopischen Ebene beschreiben sollen, sind daher in solchen Fällen von nur beschränktem Wert. Die Unsicherheit der Materialeigenschaften kann jedoch mit stochastischen Methoden beschrieben werden, so dass probabilistische, mit Unsicherheiten behaftete Materialmodelle möglich sind.

Zuverlässigkeitsabschätzungen werden oft mit Hilfe von First/Second Order Reliability Methoden durchgeführt. Diese Verfahren sind allerdings ungenau, wenn die zugrundeliegenden Modelle ein stark nichtlineares Verhalten aufweisen. Alternative Monte Carlo Ansätze liefern zwar beliebige Genauigkeiten, sind jedoch so rechenintensiv, dass der Einsatz für realistische Simulationsmodelle immer noch nicht möglich ist. In den letzten Jahren wurden mit Bayes‘schen Untermengen Verfahren (Bayesian subset simulation) sehr effiziente Algorithmen entwickelt, die unter anderem zur Berechnung kleinster Ausfallwahrscheinlichkeiten geeignet sind.

Ziel dieses Forschungsvorhabens ist es ein effizientes algorithmisches Vorgehen zu entwickeln, um (Ausfall-)Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Die Verfahren sollen auf der Bayesian subset simulation basieren und außerdem Gauss‘sche Prozess Modelle verwenden [w.132], um die Recheneffizienz auch bei sehr komplexen Mehrskalen-Modellen sicherzustellen. Dies ist unter anderem für die Bewertung der Lebensdauer (Dis-4.1) und der Resttragfähigkeit (Dis-3.7, Dis- 3.11) von Interesse, bei denen die Belastungsgeschichte unbekannt ist. In diesem Fall ist, wie in den entsprechenden Dissertationsvorhaben beschrieben, eine stochastische Modellierung und Kalibrierung anhand von Messungen zweckmäßig. Die subset simulation ermöglicht im Anschluss an die Kalibrierung eine effiziente Abschätzung der Lebensdauer für komplexe Simulationsszenarien unter Berücksichtigung des stochastischen Baustoffzustands.

Dis-2.5) Datenbasierte Beschreibung von Alterungsmodellen mit Unschärfe

(Prof. Römer, Prof. Thiele, Prof. Dinkler, Prof. Krafczyk)

Die Materialmodellierung spielt in vielen Bereichen der numerischen Simulation von Baustoffen des Graduiertenkollegs eine wichtige Rolle. Die Modellparameter können dabei in der Regel aus Ergebnissen von Experimenten kalibriert werden. Zu diesem Vorgehen soll hier ein kom31 plementärer, datenbasierter Ansatz, untersucht werden, bei dem mechanische Strukturgleichungen direkt und ohne Modellbildung mit Messdaten, die das Materialverhalten kennzeichnen, kombiniert werden sollen. Dies geschieht durch Minimierung einer Kostenfunktion, die die Abweichung der Lösung von den Messdaten quantifiziert und die mechanischen Erhaltungsgleichungen als Nebenbedingungen in der Minimierung erfasst. In Erweiterung zu bereits existierenden Ansätzen [w.128], [w.130] soll hier vor allem die Einbeziehung von Unschärfe untersucht werden.

Bei dem Forschungsvorhaben steht das methodische Vorgehen im Vordergrund, Grundlage sind Techniken aus dem Bereich der Bayes‘schen Identifikation. Es gibt Gemeinsamkeiten zu Dis-4.1, da auch hier die Lösung von Differentialgleichungen möglichst unmittelbar aus Daten, unter Berücksichtigung von physikalischen Nebenbedingungen, angestrebt wird. Neuronale Netze und deep learning werden hier allerdings nicht betrachtet. Die datenbasierten Ansätze werden nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu etablierten Modellierungstechniken gesehen. Es soll untersucht werden inwieweit diese Methodik die direkte Einbindung von Daten und deren Unschärfe im Kontext der Analyse von Baustoffalterung ermöglicht. Außerdem erhoffen sich die Antragsteller Rückschlüsse in Bezug auf die Sensitivität und Auswirkungen von verschiedenen Aspekten der Materialmodellierung ziehen zu können.

Dis-2.6) Baye‘sche Modellbewertung und Identifikation

(Prof. Römer, Prof. Dinkler, Prof. Thiele)

Bei Baustoffen sind lokale Zustände und die Belastungsgeschichte oft unbekannt. Für die Beschreibung der Alterung und die Prognose der Lebensdauer werden daher Modelle mit zunehmender Komplexität entwickelt. Mit der Komplexität steigt oft auch die Anzahl von Parametern, die, basierend auf Messdaten, mit inversen Methoden identifiziert werden können (siehe auch Dis-2.5). In dem hier geplanten Promotionsvorhaben geschieht dies, wie in der ersten Förderperiode, durch Bayes‘sche Verfahren, die besonders geeignet sind, um physikalisches Vorwissen mit Messdaten zu kombinieren. Ein wichtiger Aspekt sind hierbei moderne höhere Ordnung Spektralverfahren (z.B. Polynomial Chaos), die es ermöglich die Parameteridentifikation auch bei rechenintensiven, komplexen, ggf. mehrskaligen Modellen durchzuführen.

Im Gegensatz zu der ersten Förderperiode und in Abgrenzung zum Vorhaben Dis-2.5 sollen hier die Unzulänglichkeiten eines Modells untersucht werden. Im Fokus des Vorhabens steht
das Chaboche-Modell, für das bereits eine Parameteridentifikation durchgeführt wurde. Bei der Erweiterung in Bezug auf Modellunzulänglichkeiten wird in zwei Schritten vorgegangen. Zunächst werden effiziente Methoden zur Berechnung Bayes‘scher Modellevidenzen untersucht, die eine Bewertung das Chaboche-Modells in Bezug auf die experimentelle Datenlage zulassen. Dabei können insbesondere Rückschlüsse in Bezug auf die Ausgewogenheit zwischen Modellkomplexität und benötigter Genauigkeit gezogen werden. Der zweite Schritt besteht dann in einer expliziten Kalibrierung des Modellfehlers [w.128]. Durch dieses Vorgehen versprechen sich die Antragsteller Rückschlüsse auf benötigte Modellerweiterungen und zudem verbesserte Gültigkeitsintervalle für die Vorhersage des Zustands von Baustoffen.

Dis-2.7) Kennlinien der Betondegradation bei chemischem Angriff

(Prof. Dinkler, Prof. Kowalsky, Prof. Lowke)

Beton unter chemischem Angriff zeigt eine mit der Zeit zunehmende Degradation des Zementsteins, die auf unterschiedlichen Zeit- und Längenskalen stattfindet und die Struktur des Baustoffes dauerhaft verändert, siehe hierzu (Budelmann et al. [w.159]). Die Kontinuumsschädigungsmechanik gibt den Rahmen für die Beschreibung der Betondegradation; die Diskretisierung der Modellgleichungen erfolgt mit der Finite-Element-Methode (FEM). Die Modellgleichungen beschreiben den Transport von Substanzen im Porenraum makroskopisch als Diffusion, Advektion und Kapillarwirkung sowie die Reaktionskinetik der chemischen Degradationsprozesse, die Deformationsprozesse und die Entwicklung der mechanischen Eigenschaften des Betons mit internen Variablen. Vorarbeiten liegen mit (Kowalsky et al. [v.15]), (Cramer et al. [v.17]), (Ostermann et al. [v.16]) und (Steffens et al. [v.11]) vor.

Eine alternative Beschreibung der Prozesse ist mit der Diskrete-Element-Methode (DEM) bzw. mit Partikelmethoden möglich. Bei gleicher Anzahl von Freiwerten ist vorteilhaft, dass die Rissbildung bei der DEM diskret beschrieben werden kann und im Rahmen der Peri-Dynamics auch nichtlokale Prozesse darstellbar sind.

In der ersten Förderperiode ist es gelungen, mit Partikel-Methoden die thermo-mechanische Schädigung von faserverstärktem UHPC bis in den Nachbruchbereich realistisch zu beschreiben, und außerdem die Kopplung von Diffusionsprozessen und chemischer Degradation von Beton auf der Meso-Ebene zu beschreiben (Ockelmann et al. [v.18]), (Flack et al. [v.20]).

In dem jetzt geplanten Vorhaben soll die Entwicklung der Betoneigenschaften für ausgewählte Alterungsszenarien numerisch untersucht werden, um hiermit charakteristische Kennlinien für Karbonatisierung, Sulfat- und Chloridangriff zu entwickeln. Zunächst ist die Stöchiometrie der Reaktionskinetik in das Modell zu integrieren und anhand von Experimenten zu validieren. In einem zweiten Schritt ist die Sensitivität der Prozesse bezüglich der räumlichen Verteilung der Materialeigenschaften und des Stoffangebotes zu untersuchen. Und in einem dritten Schritt sollen reale Betonquerschnitte unterschiedlichen Einwirkungsszenarien unterworfen werden, um das jeweilige Degradationsniveau zu skalieren und mit dem wirksamen Alter des Betons zu verknüpfen. Dabei kommen als Geometrien hochaufgelöste Voxeldatensätze von Materialproben zum Einsatz, die mittels Röntgentomographie gewonnen werden.

Dis-2.8) Size effect in localized failure: testing, uncertainty, modeling

(Prof. Matthies, Prof. De Lorenzis, Prof. Dinkler)

Das Promotionsvorhaben (Cotutelle mit der UTC Compiegne) wird zurzeit von Frau Simona Dobrilla bearbeitet.