Welche Hürden das autonome Fahren noch zu nehmen hat

[NFF, Notizen]

TU Braunschweig forscht zu Beschleunigung der Markteinführung

Wissenschaft, Forschung und Industrie arbeiten ehrgeizig daran, dass uns autonom fahrende Fahrzeuge den Alltag sicherer und leichter machen. Die Technologien dazu entwickeln sich rasant, Anwendungsfälle werden erprobt, etwa Shuttle-Dienste und automatisches Einparken, der Reifegrad ist weit fortgeschritten. Um eine Markteinführung der Technologien zu ermöglichen und sie damit in die breite Anwendung zu bringen, gibt es noch einige Hürden zu nehmen – neben technischen Themen u.a. die gesellschaftliche Akzeptanz sowie politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Welche das sind und wie die Technische Universität Braunschweig diese mitgestaltet, darüber berichtet uns Dr.-Ing. Adrian Sonka, Geschäftsführer des Niedersächsischen Forschungszentrums Fahrzeugtechnik (NFF).

Herr Dr. Sonka, was sind im Moment noch die größten Herausforderungen, damit echtes autonomes Fahren im Alltag ankommt?

Technisch ist die Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten. Die meisten Fahrzeughersteller haben bereits höherautomatisierte Funktionen (Level 3+) entweder in Serie oder in der Serienentwicklung. Die Grundlagen für autonomes Fahren (Level 4 / 5) sehen daher sehr gut aus, auch wenn es selbstverständlich noch Forschungslücken sowie Verbesserungspotenziale in einer zuverlässigen Wahrnehmung/Perzeption, Erkennung des Fahrbahnreibwertes oder Vorausschau/Prädiktion gibt.

Große Herausforderungen finden sich eher in nicht-technischen Domänen wie bei juristischen Fragstellungen (Zulassungsfragen, Betriebserlaubnis, Datenschutz), im Kundenvertrauen sowie der Akzeptanz und im Bereich von tragbaren Geschäftsmodellen, kurz gesagt: in einer möglichst marktorientierten Gestaltung autonomer Fahrzeuge und Mobilitätskonzepte.

Beim Stichwort Mobilitätskonzepte ergeben sich zudem völlig neue Freiheitsgrade, wenn die Rolle des Fahrers/Fahrerin in die eines Passagiers/Passagierin wechseln sowie Elemente wie Gas, Bremse und Lenkrad entfallen. Es sind modulare Systeme denkbar und auch der Fahrzeuginnenraum bietet große Neugestaltungspotenziale – vieles, was man in Konzeptstudien verschiedener Hersteller bereits sehen kann.

Im Bereich der Elektromobilität gibt es große Schwankungen bei Verkauf und Akzeptanz. Welche Lektionen kann man vom E-Auto z.B. für die Markteinführung von autonomen Fahrzeugen lernen?

Eine sehr spannende Frage, da speziell in der Infrastruktur gewisse Parallelen bestehen, während das Ladenetz im Bereich der E-Mobilität direkten Einfluss auf die Nutzung hat, spielen an neuralgischen Punkten digitale Infrastruktur (Car2X Road-Side-Units für Ampelsignalübertragung, Umfeldüberwachung an uneinsehbaren Stellen, GPS-Abdeckung) und hochgenaue Karten für das autonome Fahren eine wichtige Rolle für dessen Einsatzmöglichkeit und damit Potenzialentfaltung bei Kund*innen.

Verglichen mit einem E-Fahrzeug gibt es dann jedoch auch wieder Unterschiede, da im autonomen Betrieb die Fahrsicherheit eine völlig andere Rolle spielt, sich neue Nutzungskonzepte ergeben, jedoch das System auch jederzeit abgeschaltet werden kann. Aus Sicht des Kunden ist daher die Akzeptanz und das Vertrauen ins Fahrzeug relevant. In unserer Forschung haben sich zu der Erwartungshaltung demografisch und kulturell bedingt große Unterschiede weltweit gezeigt, sodass stets zielgruppen- und marktorientiert entwickelt werden sollte.

Innerhalb des NFF gehen wir diese Herausforderung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und starke Einbindung der Öffentlichkeit und Proband*innen innerhalb von Reallaboren an, sodass frühzeitig Feedbacks zu den Fahrfunktionen in den Prozess einfließen können.

Könnten Sie ganz kurz beschreiben, mit welchen Zeitläufen man rechnen sollte, wenn ein neues, innovatives Fahrzeugkonzept die Vor-Serienreife erreicht hat und nun in die Vermarktung gehen soll?

Das ist in der Tat gar nicht so einfach zu beantworten, weil dieser Prozess für autonome Fahrzeuge an vielen Stellen erstmalig durchlaufen wird und die Erfahrungswerte fehlen. International ist die Lage durch eine Vielzahl an Wettbewerbern, gerade im US-Amerikanischen und asiatischen Raum sehr unübersichtlich und ändert sich wöchentlich. Für den Ownership-Bereich, d.h. Privat-PKWs stehen wir noch weit von der Einführung autonomer Konzepte entfernt. Selbst für Mobilitätsanbieter und Nutzfahrzeughersteller (von Kleinbussen und Shuttles) sowie Forschungseinrichtungen (Erprobungsbetrieb) stellen sich Ungewissheiten im Zulassungsprozess, Definition des abgegrenzten Betriebsbereiches, Test und Validierung sowie Sicherheitsnachweis. In den nächsten Jahren werden wir dazu jedoch viel, auch aus eigener Erfahrung, lernen können.

Wie die Markteinführung gelingen kann, untersucht das Projekt MIAMy, einer von elf Transformations-Hubs, das autonome Fahrzeugkonzepte auf die Straße bringen soll. Welche konkreten Probleme werden betrachtet?

Die zuvor erläuterten Herausforderungsbereiche geht MIAMy durch starke Interdisziplinärität im Verbund mit sechs Instituten des NFF der TU Braunschweig, dem Institut für Verkehrssystemtechnik des DLR sowie der Technischen Hochschule Ingolstadt an. ITS mobility übernimmt hier als vierter Partner zudem die Rolle des Projektmanagements.

Im Bereich der Technologie betrachten wir u.a. die Themen vorausschauende Sicherheitssysteme, harmonisierte Validierungsprozesse sowie die Rolle von KI. Aus Kunden- und Geschäftsmodellsicht besteht nach wie vor eine zu starke Produktfokussierung. Zudem sind uns konkrete Probleme und Erwartungshaltungen aller Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette unklar. Rechtlich spielen vor allem die genaue Untersuchung der Zulassungsfähigkeit und der Datenschutz bei den immer größer werdenden Datenströmen in den Fahrzeugen eine Rolle. Die Arbeits- und Organisationspsychologie betrachtet eine noch übergeordnete Ebene, u.a. wie Mitarbeitende zukünftig bestmöglich Kompetenzentwicklung betreiben können und was die Einführung des autonomen Fahrens für Veränderungen auf organisationaler Ebene mit sich bringt.

Wie packt MIAMy diese Problematik an?

Wir haben ein Angebotsportfolio entwickelt, das auf fünf Säulen fußt und folgende Elemente enthält:

  1. eine verbindende offene Innovationsplattform, die einen Datenaustausch unter Nutzung von Open-Source-Technologien ermöglicht und auch Reallabor-Elemente beinhaltet,
  2. ein Informationsangebot, das u.a. Wissenstools und Technologieradare umfasst sowie eine Akteurslandkarte und juristische Checklisten und Leitfäden.
  3. Weiterbildungsangebote, die die bei Partnern vorhandenen F&E-Ergebnisse didaktisch fürt Workshops aufbereitet
  4. bilaterale Transformationsprojekte mit anschließendem Austausch, die unter anderem die Erarbeitung von Best Practices anhand konkreter Beispiele umfassen.
  5. auch die Netzwerk- und Forschungscommunity ist extrem wichtig, die den Austausch mit anderen Transformations-Hubs und Akteuren umfasst sowie die Organisation von Events und Netzwerktreffen beinhaltet.

Wie kommen dann die entwickelten Markteinführungstools an die richtigen Stellen in der Industrie?

Wir pflegen durch unser Netzwerk sehr enge Kontakte zu allen Akteuren innerhalb der Wertschöpfungskette des autonomen Fahrens und binden diese bereits ab der frühen Projektphase von MIAMy konsequent in das Vorhaben mit ein, unter anderem durch Einforderung konkreter Bedarfe. Dies wird unter anderem durch regelmäßige Workshops mit einem breiten Kreis an assoziierten Projektpartnern oder auch Online-Umfragen abgebildet. Jegliche Angebote des Transformations-Hubs orientieren sich daher an realen Herausforderungen und sind so gestaltet, dass sie direkten Nutzen in der Zielgruppe (KMUs, Start-ups, Mittelstand, OEMs, Kommunen) erzeugen sollen. Unsere Mission ist, das durch Forschung und Wissenschaft akkumulierte Wissen möglichst unmittelbar nutzbar zu machen, um die Markteintrittsbarrieren autonomer Fahrzeuge zu reduzieren.

Herr Dr. Sonka, haben Sie Vielen Dank.