Veröffentlichung

Schnieder, E.:
Die Renaissance des Systembegriffs durch formalisierte Terminologiebildung.
In Gimmler, A.; Holzinger M.; Knopp L., Hrsg.: Vernunft und Innovation - Über das alte Vorurteil für das Neue - Festschrift für Walther Ch. Zimmerli.
Wilhelm Fink Verlag München, S. 379 - 386, Mai 2010.

Kurzfassung:

1. Einleitung In der Folge wesentlicher technischer und theoretischer Innovationen erleben immer wieder bestechende Paradigmen metaphorischer Einfachheit ihren kometenhaften Aufstieg, erstrahlen und verblassen wieder, wie z. B. die Maschinenmetapher oder die Computermetapher. Gegen ihre anschauliche Alltäglichkeit kämpfen abstraktere Konzepte und Modelle. Diese sind als ihre konkreten Gegenspieler jedoch aufgrund ihrer Unabhängigkeit von physischen Referenten dauerhafter und innovativer. Ein Beispiel ist die Kategorienlehre des Aristoteles, die seit längerer Zeit in der „Objektorientierung“ in der Informatik eine Renaissance erlebt. Ein anderer nachhaltig prägender terminus technicus ist der des Systems mit seinen jeweiligen Theorien. Im theoretischen Fahrwasser dieses Terminus entwickeln sich das christlich religiöse System [Lullus], das Planetensystem [Kopernikus], das biologische System der Lebewesen [Linné], das Periodensystem der chemischen Elemente nach Meyer und Mendelejew [Cahn], die soziologische Systemtheorie [Luhmann], die nachrichtentechnische Systemtheorie [Küpfmüller] und ihre regelungstechnischen Interpretationen in der Kybernetik [Wiener], sowie die Linguistik strukturalistischer Prägung [Saussure]. In allen Fällen wird jedoch der Systembegriff im existenziellen Zusammenhang mit einem expliziten Gegenstandsbereich verwendet, z. B. Planetensystem, Periodensystem oder Zeichensystem und dabei nicht selten inflationär gebraucht. Sehr viel seltener wird der Systembegriff – als solcher – in seiner Abstraktion als universelles Konzept definiert und präzisiert, geschweige denn formalisiert. Aber erst mit dieser Nacktheit vollzieht sich ein Wandel im grundlegenden Verständnis. Aus dem noch disziplinär verorteten X-System wird nun ein transdisziplinäres System-Begriffs-Konzept, welches in dieser Entblößung das konkrete Ganze bereits im abstrakten Teil konstituiert, und nur jeweils noch vererbt oder instanziiert werden muss. Es versteht sich von selbst, dass das System-Begriffs-Konzept System als geistige Essenz die Denkökonomie befördert und als konzeptioneller Wissensvorrat sinnstiftende Beschreibungs- und Erklärungsmodelle liefert. Die bekannten Formalisierungen der Systemtheorie [Pichler, Wunsch] postulieren dabei scheinbare Selbstverständlichkeiten, z. B. das Eingabe-Ausgabe- bzw. Aktions-Reaktions-Verhalten, ohne diese elementaren Beziehungen zu reflektieren. Bereits diese allgemein akzeptierten Ansatzpunkte führen jedoch zu folgenschweren Fehleinschätzungen, da der Eingangs-Ausgangs-Beziehung eine Unabhängigkeit der Eingangszustände stillschweigend unterstellt wird; jedoch wird die komplementäre Ausgangs-Eingangs-Beziehung der das System mitkonstituierenden Umsysteme ignoriert [Vester]. Hier soll aus ingenieurswissenschaftlicher Perspektive ein innovativer Ansatz vorgestellt werden, mit Hilfe dessen sich langsam die konzeptionellen Grundlagen einer universelleren systemischen Modellierung herauskristallisieren sollen. Es sind Ausprägungen eines universellen Begriffskonzepts, das einerseits zu einem abstrakten Systemmodell führt, und andererseits durch eine umfassende Behandlung mit Beschreibungsmitteln, Methoden und Werkzeugen komplettiert wird. Auf dieser beschreibungstheoretischen Basis wurde ein konsistentes methodisches Gerüst u. a. zur Behandlung komplexer Automatisierungssysteme konzipiert, evolutionär systematisiert und schließlich zur Anwendungsreife sowohl durch die Verankerung in Richtlinien und Normen zum anerkannten Stand der Technik geadelt als auch durch Bereitstellung und Verbreitung industriell tauglicher Werkzeuge praktikabel gemacht, nicht zuletzt durch mehrere Unternehmensgründungen.